Shanghai Love Story
gespielter Ãberraschung.
Anna lächelte, beeindruckt von seiner lässigen Anmache. Er passte in das Bild, das sie sich von einem Franzosen machte.
»Ich heiÃe Laurent. Studierst du hier in Shanghai?«, plauderte er munter drauflos.
»Anna. Ich studiere chinesische Malerei an der Akademie der Bildenden Künste.«
»Oh!«, sagte er und tat so, als sei er wahnsinnig fasziniert. »Du bist eine Künstlerin!«
»Ich hoffe, dass ich es eines Tages sein werde.«
»Ich kenne die Akademie. Sie liegt auf der anderen Seite des Flusses, gegenüber der Universität. Ich studiere Mandarin. Du solltest mal zu uns kommen und uns besuchen.« Er deutete auf die anderen Studenten, die mit ihm angekommen waren. »Wir veranstalten tolle Partys!«
»Vielleicht«, erwiderte Anna unverbindlich und schaute wieder zum Eingangstor. Entweder hatte sich Chenxi erheblich verspätet, oder er kam nicht.
Laurent bemerkte ihren Blick. »Wartest du auf jemanden?«
»Mmm«, nickte sie. »Auf jemanden aus der Akademie.«
»Männlich oder weiblich?«, fragte er weiter mit einem verschmitzten Lächeln.
Anna gestand sich ein, dass Chenxi nicht kommen würde. Und es war schon eine Weile her, seit sie dieses Spiel gespielt hatte. Es war ein Spiel, das sie kannte. Bei Chenxi dagegen wusste sie nie, woran sie war.
»Spielt das eine Rolle?«, gab sie zurück.
Laurent grinste und griff den Faden auf. »Das kommt darauf an.«
Er zog ein Päckchen Zigaretten aus der Brusttasche seines Hemdes und bot ihr eine an. Anna war sich bewusst, dass Rauchen mehr war, als nur eine Zigarette abzubrennen. Es war ein Ritual, ein Eisbrecher, der Eintritt in einen intimen kleinen Club. Chinesen schlossen nie einen Handel ab, ohne dass dabei Zigaretten den Besitzer wechselten. Wenn man das Rauchen aufgab, war es nicht der Verlust der Zigaretten, der am meisten schmerzte. Menschen, die niemals geraucht hatten, konnten das nicht begreifen.
»Rauchst du?«
»Ich habe damit aufgehört«, sagte Anna bedauernd.
»Wie schade«, sagte Laurent. Er strich ein Streichholz an und hielt es an die Zigarette, die in seinem Mundwinkel hing. Seine Schultern waren nach vorn gezogen und seine Augen leicht zusammengekniffen. Die Flamme erzeugte einen kleinen goldenen Lichtkreis, der sein attraktives Gesicht einrahmte. Er wusste ganz genau, wie gut er aussah.
Laurent inhalierte, schüttelte das Streichholz, sodass die Flamme erlosch, und stieà den Rauch aus, ehe er Anna tief in die Augen blickte. »Was ist mit Haschisch?«
»Nun ⦠es gibt eigentlich kaum etwas, das ich nicht ausprobieren würde«, erwiderte Anna in der Hoffnung, unbekümmert zu klingen.
Laurent lächelte erfreut und klopfte sich auf die Hosentaschen. »Wollen wir einen Spaziergang machen?«
»Ich sage nur schnell meinem Vater Bescheid, dass ich mir ein bisschen die Beine vertreten will. Wir treffen uns am Tor«, sagte Anna. Laurent schien es nichts auszumachen, seine Begleiter hier zurückzulassen.
Anna erklärte ihrem Vater, dass sie allein nach Hause gehen würde. Er warf ein zustimmendes Lächeln in Richtung Laurent und drückte ihr ein paar Geldscheine in die Hand.
»Okay, Liebling. Du hast doch den Ersatzschlüssel, nicht wahr? Viel SpaÃ!«
Als Anna und Laurent ans Tor kamen, wurden sie Zeugen eines ziemlichen Aufruhrs: laute, wütende Stimmen, von denen Anna eine erkannte. Chenxi! Sie schob sich durch die Menschenmenge und sah, wie er heftig mit dem Wachmann des Konsulats stritt. Hin und wieder wurde Chenxi von einem Zuschauer unterbrochen, der ebenfalls seine Meinung sagen wollte. Der Wachmann schüttelte den Kopf.
»Chenxi!«, rief Anna. »Was ist hier los?«
Chenxi hörte einen Moment lang auf zu schreien und schaute zu Anna hinüber. Die Zuschauer taten das Gleiche. Dann wandte sich Chenxi wieder dem Wachmann zu, deutete auf Anna und schrie noch lauter als zuvor.
»Ist das dein Freund?« Laurent hob die Augenbrauen.
»Ja«, antwortete Anna.
»Er benimmt sich nicht wie ein Chinese.«
»Was meinst du denn damit?«
»Nun, für einen Chinesen hat er ein ziemlich loses Mundwerk. Er sollte aufpassen. Diese Art von Reden könnte ihm ziemlichen Ãrger einbringen.«
Chenxi kam zu ihnen. »Er mich nicht hineinlassen. Er sagen, kein Chinese erlaubt, aber ich ihm sagen, du mich einladen«, sagte er zu Anna.
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