Shanghai Love Story
nach ihr rief.
»Chenxi! Was machst du denn hier?«
»Ich warten auf dich!«
»Aber ich bin schon seit Ewigkeiten hier! Warum bist du nicht hineingekommen?«
»Du mir sagen, mich im Konsulat treffen. Ich warten hier, drauÃen.«
»Oh, Chenxi! Das ist ja schrecklich! Ich dachte, du würdest nicht kommen.«
»Ich sagen vielleicht. Vielleicht nein, vielleicht auch ja.«
»Oh, es tut mir so leid! Hast du die ganze Zeit gewartet? Komm, gehen wir schwimmen. Ich gehe noch mal mit dir rein.«
»Ich muss heimgehen, Mutter helfen mit Kochen. Sie ist zu Hause, nach Arbeit sehr müde.«
»Chenxi, ich habe ein furchtbar schlechtes Gewissen. Wie kann ich das wiedergutmachen?« Forschend blickte Anna ihm ins Gesicht. Sie konnte nicht erkennen, ob er verärgert war oder nicht. »Hör mal, ich weià was. Am Freitagabend gibt es eine Party hier im Konsulat. Hast du Lust zu kommen? Um sechs?«
Chenxi starrte über die StraÃe. »Vielleicht.«
»Chenxi! Vielleicht ja oder vielleicht nein?«
Chenxi zwinkerte. »Vielleicht. Eventuell. Möglicherweise.«
Kapitel 10
Die Lichter funkelten und tanzten im Swimmingpool des Konsulats. Gezwungen klingendes Gelächter und das Klirren von Glas zogen um die Veranda des alten, zweistöckigen Gebäudes, gemeinsam mit dem schweren Geruch nach Parfüm und SchweiÃ. Anna hielt nach Chenxi Ausschau, für den Fall, dass er früher gekommen war, aber weit und breit war kein Chinese in Sicht. Der einzige asiatisch aussehende Mann sprach mit einem schweren amerikanischen Akzent. Obwohl es Abend war und eine leichte Brise wehte, waren alle Ausländer mit einem SchweiÃfilm überzogen, als ob sie sich in einem beständigen Angstzustand befänden. Einige der kahl werdenden Herren hatten Taschentücher mit eingestickten Monogrammen dabei, die sie von Zeit zu Zeit aus ihren Brusttaschen zogen, um sich damit die Stirn abzutupfen. Die Frauen schlugen nach Moskitos, die sich auf ihren nackten FuÃgelenken niederlieÃen.
Anna langweilte sich. Sie verlagerte ihr Gewicht von einem Fuà auf den anderen und lauschte mit einem Ohr dem Geplapper um sie herum. Warum waren diese Leute hier? Was hatte sie nach China geführt? Als Ausländer hier zu leben, war vermutlich so ähnlich wie ein Hollywoodstar zu sein. Es war eine unwirkliche Existenz. Obwohl sie sich darüber beklagte, dass sie in den StraÃen angestarrt und angefasst wurde, war es ein bisschen so, als wäre man berühmt. Ein ständiger Ego-Trip. War das der Grund, warum all diese Leute hier waren? Weil sie in ihren Heimatländern unwichtig waren?
»Ach, hallo!« Eine Frau in einem Cocktailkleid und mit glitzerndem Nagellack schwebte auf sie zu. »Du musst Anna sein. Dein Vater hat mir erzählt, dass du zu Besuch kommst. Wie gefällt es dir hier?«
Anna hatte keine Lust, die brave Tochter zu spielen. Ihr Vater ergriff sowieso gleich das Wort und sprach an ihrer Stelle, wie sie es erwartet hatte. Er behauptete, sie sei in China, um ihren »Horizont zu erweitern« und ein bisschen Mandarin zu lernen, um ihrer »Karriere auf die Sprünge zu helfen«. Während Anna geistesabwesend lächelte, behielt sie das Eingangstor im Auge. Sie hatte Chenxi heute beim Abschied erklärt, dass er, falls er vielleicht kommen würde, vielleicht auch hineingehen sollte. Sie würde jedenfalls nicht den ganzen Abend lang vor dem Tor auf ihn warten.
Eine Gruppe junger Leute schlenderte durch das Tor, ausländische Studenten, und Annas Vater stieà sie an. Sie betrachtete die Gruppe flüchtig und erblickte einen, von dem sie vermutete, dass es der französische Student war, den ihr Vater für sie auserkoren hatte. Er hatte dickes, lockiges braunes Haar, ein attraktives Gesicht und trug cremefarbene Leinenhosen und ein Seidenhemd. Aber jegliches Interesse, das sie aufzubringen versuchte, wurde von dem Gedanken an Chenxi im Keim erstickt.
Anna entschuldigte sich und zog sich aus der Unterhaltung zurück. Sie schlängelte sich durch die schwitzenden Körper zu einem Klapptisch, der als Bar diente. Sie spieÃte einen Käsewürfel mit einem Zahnstocher auf. Sie wusste, dass sie bemerkt worden war. Sie nahm ein Champagnerglas und fühlte, wie der Franzose neben sie trat. Er beugte sich vor sie, um sich ein Glas Bier zu nehmen, und stieà dabei gegen ihren Arm.
»Oh, Entschuldigung!«, sagte er mit
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