Shanghai Love Story
dass schon diese geringe Menge an Haschisch eine derartige Ãbelkeit verursachen konnte?
Anna schaute aus dem Fenster auf den grauen Himmel. Gedanken sammelten sich in ihrem Kopf wie wirbelnde Sturmwolken. Sie hörte, wie die Aiyi die Wohnung verlieÃ. Von unten klangen Motorengedröhn und das schrille Klingeln der Fahrräder herauf. In ihrem Zimmer war es kühl und sauber.
9. April 1989
Gestern habe ich mich mit Chenxi im Konsulat getroffen. Nun, eigentlich eher vor dem Tor, aber er ist gekommen, und deshalb bin ich mir sicher, dass er Interesse an mir hat. Ich habe Laurent kennengelernt, einen französischen Studenten. Gut aussehend, aber arrogant. Er hat uns Haschisch zu rauchen gegeben. Er erzählte mir, dass er einen Freund hat, der regelmäÃig nach Tibet fährt, um das Zeug zu kaufen, das Laurent dann auf dem Campus weiterverkauft. Chenxi wusste, was es war, aber er hat nicht mitgeraucht. Mir wurde davon schlecht.
Als ihr Vater nach Hause kam, ging es Anna wieder besser. Allerdings nicht gut genug, um auf sein Angebot bezüglich des Steaks einzugehen. Mr White zuckte mit den Schultern und machte sich ein Käsebrot â mit einem gefrorenen Stück importierten Cheddar, das er aus dem Eisfach holte und in der Mikrowelle auftaute. An der Spüle stehend, rief er mit vollem Mund: »Anna, wie wäre es, wenn du ein bisschen nach drauÃen gehst? An der frischen Luft fühlst du dich bestimmt gleich besser.«
»Welche frische Luft?«, rief Anna mit einem kurzen Auflachen aus ihrem Zimmer zurück. Die Luft in Shanghai war so frisch, dass sie regelmäÃig schwarze Popel aus ihrer Nase zog.
»Na ja, das war nur so eine Idee. Wie wäre es mit ein bisschen Bewegung? Wir könnten uns ein Taxi nehmen und über den Antiquitätenmarkt spazieren. Den hast du noch nicht gesehen, nicht wahr? Vielleicht finden wir dort ein paar Souvenirs, die du mit nach Hause nehmen kannst.«
»Wie wäre es mit Fahrradfahren, wenn dir nach Bewegung zumute ist?«
»Oh, es ist so umständlich, die Räder aus dem Keller zu holen, Liebling. AuÃerdem hat meins einen Platten.«
Anna hörte, wie er sich klatschend die Krümel von den Händen wischte und dann ins Wohnzimmer ging. »Es kostet nur einen Yuan, einen Platten flicken zu lassen, Dad. Das sind fünfundzwanzig Cents.«
»Wirklich?«, murmelte Mr White, mehr zu sich selbst. »Mir berechnen sie immer zehn Yuan.«
Anna tauchte aus ihrem Zimmer auf. Sie grinste, während sie sich die Bluse zuknöpfte. Sie stupste ihren Vater in die Rippen. »Weil du ein Ausländer bist, Dad.«
»Ein Wai guo ren «, kicherte Mr White mit einem breiten, australischen Akzent.
»Eine Langnase.«
»Ein fremder Geist.«
»Ein nach Käse und Geld stinkender ausländischer Teufel!«
»He, das geht zu weit!« Mr White lachte. »Na, komm, gehen wir raus und verprassen ein bisschen von diesem Drecksgeld, von dem die Chinesen nicht genug kriegen können!« Er hakte sich bei Anna unter.
»Ach Dad, ich habe ein paar Postkarten geschrieben. Können wir die unterwegs einwerfen?«
»Leg sie einfach auf den Stuhl neben der Tür. Die Aiyi wird sich darum kümmern«, sagte Mr White. »Aber ich muss dich warnen. Die Post in China ist äuÃerst unzuverlässig. Es kann gut sein, dass du lange vor den Karten zu Hause bist. Wir können deine Mutter heute Abend anrufen, wenn du möchtest. Oder wenn du mit deinen Schwestern telefonieren willst â¦Â«
»Nee, schon gut«, sagte Anna. »Ich bin ja erst ein paar Tage weg. Denen gehtâs sicher gut. Vielleicht nächste Woche.«
Mr White legte in einem Anfall unvermittelter Zuneigung den Arm um die Schulter seiner Tochter und drückte sie an sich.
Auf einer fadenscheinigen Strohmatte legte das Bauernmädchen ihre spärlichen Waren aus. Sie war zwei Tage lang unterwegs gewesen und hatte ihre GroÃmutter in der Obhut der Nachbarn gelassen. Sie würde wohl heute nicht viel Geld verdienen, aber seit ihre Mutter gestorben und ihre GroÃmutter krank geworden war, half jeder noch so kleine Betrag, die Arztkosten zu bezahlen.
Sie wickelte den letzten Gegenstand aus und zögerte, ehe sie ihn zu den anderen Sachen auf der Matte legte. Es war eine silberne, mit Edelsteinen besetzte Schnupftabakdose aus der Ching-Dynastie. Sie war in ihrer Familie seit vielen Generationen von der Mutter an
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