Shanghai Love Story
das?«, wollte Anna wissen. Sie war entzückt, dass sie sich schon einen Kosenamen erarbeitet hatte.
»Es heiÃt âºKlein Fett Fettâ¹Â«, erklärte Chenxi lachend.
Anna war entsetzt. »Was?«, stotterte sie. »Ich bin nicht fett!«
»Doch, das bist du«, sagte Chenxi. »In China es bringen Glück, wenn man fett ist. Lao Li denken, fett ist schön.«
Trotz ihrer toleranten Einstellung fiel es Anna schwer, das als Kompliment aufzufassen. Wie weit war die hiesige Einstellung doch von der Vorstellung von Schönheit entfernt, die ihre eigene Kultur pflegte! Selbst sie mit ihrer durchschnittlichen Figur hatte sich früher Diäten und Hungerkuren unterworfen, wie die meisten ihrer Freundinnen.
Sie warf Chenxi einen Blick aus den Augenwinkeln zu. »Was ist mit dir?«, fragte sie. »Magst du auch âºfetteâ¹ Mädchen?«
»Ich mögen alle Mädchen«, prahlte er. Anna spürte, wie sich etwas in ihrem Inneren verknotete.
An diesem Nachmittag kam das junge Modell wieder und lächelte, als sie Anna sah. Diesmal entkleidete sie sich bis zur Taille und saà steif da, starrte geradeaus, während die Studenten sie zeichneten.
Anna betrachtete ihre Knochenstruktur, schmal und zierlich, wie die eines Kindes. Ihr eigener Körper kam ihr groà und unbeholfen vor, und die zwei Schüsseln mit Nudelsuppe lagen ihr schwer im Magen. Andererseits war sie heute von zwei Männern bewundert und angehimmelt worden, wenn auch keiner der beiden Chenxi war. Nichtsdestotrotz war sie froh, dass sie nicht länger das unsichere Schulmädchen war, das wochenlang über Chenxis Bemerkung beim Mittagessen nachgegrübelt hätte. Wenn man lernte, seinen Körper so zu akzeptieren, wie er war, war es, als würde man eine lästige und beengende Hülle abstreifen. Anna lächelte vor sich hin, während sie zeichnete.
Kurz darauf spürte sie Chenxi hinter sich stehen. Ihr Zeichenarm wurde weich wie Butter und sie legte den Kohlestift weg. Es gab nur eine Möglichkeit zu arbeiten, wenn er im selben Raum war: Sie musste ihn gänzlich aus ihren Gedanken verbannen. Keine leichte Aufgabe.
»Ja?«, sagte sie und drehte sich zu ihm um.
Er lächelte und trat zurück.
Anna überlegte, wie sie seine Aufmerksamkeit fesseln konnte. »Chenxi?«, flüsterte sie.
»Hmm?«
»Hast du Lust, heute Nachmittag mit mir schwimmen zu gehen? Im Pool des Konsulats?« Sie war sich sicher, dass ihn die Vorstellung reizte. »Es ist herrlich dort. Kühl. Und ruhig. Du weiÃt schon â friedlich.«
»Friedlich.«
»Ja, friedlich. Das Wort habe ich dir gestern beigebracht. WeiÃt du noch?«
»Friedlich. Ruhig. Yin und Yang«, neckte Chenxi.
Anna errötete. »Was ist? Kommst du mit?«
»Vielleicht.«
»Was soll das denn heiÃen?«
Chenxi blätterte in einem kleinen, zerfledderten Wörterbuch, das er in der Hosentasche hatte. »Vielleicht: eventuell, möglicherweise â¦Â«
»Ha, ha, ha«, sagte Anna und widmete sich wieder ihrem Bild. »Komm, wenn du willst. Mir ist es egal. Ich werde auf jeden Fall gehen. Es ist viel zu heiÃ. Wir treffen uns um vier im australischen Konsulat.«
Es wurde vier. Es wurde fünf nach vier. Anna wartete bis zehn nach vier und tauchte dann in den Swimmingpool ein. Wenn er kommt, dann kommt er, wenn nicht, dann nicht, dachte sie. Ich werde jedenfalls nicht mehr stundenlang auf ihn warten!
Das kühle, plätschernde Türkis schloss sich über ihr. Unter Wasser konnte man glauben, irgendwo auf der Welt zu sein, egal wo. Aber als sie sich auf den Rücken rollte und in den grauen, schmutzigen Himmel schaute, gab es keinen Zweifel: Sie war in Shanghai. Anna schwamm und tauchte und drehte sich im Wasser. Ruà und Schweià wurden ihr aus den Poren gewaschen, aber sie konnte den Gedanken an Chenxi nicht aus ihrem Kopf bekommen. Gelegentlich war sie sich sicher, seine Anwesenheit zu spüren, und drehte sich um in der Gewissheit, ihn am Rand des Pools stehen zu sehen. Aber es waren immer nur die saftig grünen Palmen, deren Wedel ihr zuwinkten, und Anna versuchte, ihre Enttäuschung zu unterdrücken.
Nach einer Stunde kletterte sie aus dem Pool und zog sich an. Sie fühlte sich erfrischt, wieder einigermaÃen sie selbst. Sie schob ihr Fahrrad zum Tor und wollte gerade aufsteigen, als sie hinter sich Chenxis Stimme hörte, die
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