Shanghai Love Story
»ScheiÃe!«
»Wir wollten sowieso gerade gehen«, sagte Anna. »Kommst du mit? Das hier ist übrigens Laurent.«
Laurent gab Chenxi einen freundschaftlichen Klaps auf die Schulter und sagte etwas auf Chinesisch, das lang und kompliziert klang. Beide lachten.
»Ja, ich kommen«, sagte Chenxi.
Zu dritt drängten sie sich durch die Menschen, die immer noch miteinander stritten, und gingen die StraÃe entlang.
Laurent und Chenxi unterhielten sich auf Chinesisch, während sie durch die Pfützen aus gelbem Licht auf dem Asphalt schlenderten. Anna folgte ihnen und tat so, als würde es ihr nichts ausmachen, dass sie kein Wort verstand.
Chenxi erwärmte sich sichtlich für Laurent, und wieder einmal wünschte sich Anna, dass sie Chinesisch sprechen könnte. Wenn es eine Möglichkeit gab, ihn zu erreichen, dann gewiss durch seine Muttersprache. Aber wir haben doch eine gemeinsame Sprache, dachte Anna. Unsere Kunst. Er musste doch fühlen, dass es eine Verbindung zwischen ihnen gab. Die Sprache der Kunst überwand doch wohl alle Grenzen.
Laurent blieb stehen und lehnte sich in dem Schatten zwischen zwei StraÃenlaternen gegen eine hohe Backsteinmauer. Er nahm eine kleine Filmdose und eine Packung Zigarettenpapier aus seiner GesäÃtasche.
Anna schaute sich um. Die StraÃe war alles andere als menschenleer. Ein schmollmundiges Mädchen und ihr Freund drehten sich um und gafften die Ausländer an.
Laurent brach ein Stück des klebrigen Haschischs ab und vermischte es mit geübten Fingern mit dem Tabak, den er auf ein Zigarettenpapier aufgestreut hatte. Dann befeuchtete er den Rand des Papiers mit der Zunge und rollte einen ordentlichen Joint. Anna sah, dass Laurents Hände zwar sauber geschrubbt waren, dass sich aber seine Fingerkuppen von dem regelmäÃigen Gebrauch des Haschischs verfärbt hatten.
»Du willst das Ding doch wohl nicht hier anzünden!«, sagte Anna entgeistert. Ein junger Mann fuhr schwankend auf seinem Fahrrad an ihnen vorbei und lallte leise vor sich hin. Eine alte Frau beugte sich aus dem Fenster über ihnen und schloss dann die Läden, sperrte die Nacht aus. Die StraÃen waren ruhig im Bezirk der Konsulate, wo die alten, europäisch anmutenden Gebäude und ehrwürdige Platanen, die die StraÃe säumten, entfernt an Frankreich erinnerten.
»Die Leute wissen nicht, was das ist«, versicherte ihr Laurent. »Sie denken, es ist nur eine merkwürdige ausländische Zigarette.«
Anna hatte das ungute Gefühl, dass Laurent angab. Ihretwegen.
Laurent zündete den Joint an und nahm einen tiefen Zug. Er blinzelte durch den Rauch und reichte den Joint an Anna weiter. Sie nahm ihn und zog zunächst zögernd daran, schmeckte das süÃliche, leicht staubige Aroma. Es war viel stärker als Gras. Sie gab Laurent den Joint zurück und wartete auf die Wirkung.
Laurent bot Chenxi den Joint an, der leicht lächelte und den Kopf schüttelte. »Ich zwar Chinese, aber ich wissen, was das ist. Ich war in Xinjiang.«
Laurent zuckte mit den Schultern und nahm einen weiteren Zug.
Anna wurde plötzlich schwindelig. Als Laurent ihr den Joint gab, zog sie wieder daran. Diesmal fester.
Die Geräusche der StraÃe klangen mit einem Mal verzerrt, wie durch Sirup. Die Lichter wurden weich und verschwammen. Anna merkte, dass sie wie eine Schwachsinnige grinste.
Sie standen zwischen zwei StraÃenlaternen an die Backsteinmauer gelehnt.
Anna hörte Laurent sagen: »He, wollen wir in eine Bar gehen?« Seine Stimme drang wie durch Watte zu ihr.
Sie hörte sich selbst antworten: »Klar.«
»Hast du dein Fahrrad dabei?«
Anna musste einen Moment lang nachdenken. »Nein.«
»Ich nehmen sie auf Rad mit. Es stehen vor Konsulat.«
Sie gingen die StraÃe zurück bis zum Eingangstor. Anna wartete an der Ecke, aus Angst, dass ihr Vater auftauchen könnte. Sie war sich nicht sicher, ob sie in der Lage sein würde, normal mit ihm zu reden. Würde er sie überhaupt erkennen? Sie hatte das Gefühl, plötzlich ganz anders auszusehen. Wie sah sie eigentlich aus?
Nach einer halben Ewigkeit kehrten Chenxi und Laurent auf ihren Rädern zurück. Anna wollte ihnen sagen, was sie davon hielt, dass sie sie so lange hatten warten lassen, aber sie fand nicht die richtigen Worte. Ihre Stimme schien ebenfalls in Watte eingewickelt zu sein, genau wie die von Laurent.
Hinten
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