Shanghai Love Story
die älteste Tochter weitergegeben worden. Heute war der Tag, an dem sie die Familie verlassen würde, dachte das Mädchen wehmütig. Sie dankte den Geistern, dass ihre GroÃmutter blind war und den Verlust nicht bemerken würde.
Ihr Nachbar, der schon früher in Shanghai gewesen war, hatte dem Mädchen erklärt, dass die Schnupftabakdose sehr wertvoll war. Sie sollte zweihundert Yuan dafür verlangen und sie für nicht weniger als hundert Yuan verkaufen. Einhundert Yuan! Das war mehr, als sie in zwei Monaten verdiente!
Die Menschen schlurften vorbei. Gelegentlich nahmen sie einen der Gegenstände, die auf der Strohmatte lagen, betrachteten ihn und legten ihn dann wieder zurück. Einer von ihnen pickte sich die Schnupftabakdose heraus und fragte nach dem Preis. Als sie ihn nannte, schnaubte der Mann und ging weg.
Als der Morgen verstrich, fing das Mädchen an, sich Sorgen zu machen. Was, wenn sie nicht genug verdiente, um sich die Zugfahrkarte für die Rückfahrt leisten zu können? Konnte sie es wagen, ohne Geld nach Hause zurückzukehren? Sie hockte sich auf die Fersen und schaute zu den vorbeihastenden Menschen hinauf.
SchlieÃlich blieb eine junge ausländische Frau mit Shorts und einem T-Shirt bekleidet vor der Matte des Bauernmädchens stehen. Sie betrachtete die Gegenstände, während das Mädchen zu ihr hochschaute, geblendet von der weiÃen Haut und den blauen Augen. Ehe Anna noch die Möglichkeit hatte, wieder in der Menge zu verschwinden, war das Mädchen aufgesprungen und hatte ihr die juwelenbesetzte Dose in die Hand gedrückt.
Anna lächelte und legte die kleine Dose wieder auf die Matte. »Nein, danke«, sagte sie.
Mit wildem Blick schüttelte das Bauernmädchen den Kopf und drückte Anna die Dose erneut in die Hand. Dabei hielt sie ihr zwei Finger vor das Gesicht.
»Zwei Yuan?«, fragte Anna ratlos. » Liang kuai ?«
Das Mädchen schüttelte heftig den Kopf und schrieb eine Zwei und zwei Nullen auf ein Stück Papier. Sie hielt es Anna entgegen. Anna betrachtete die hübsche Schnupftabakdose.
»Oh, zweihundert«, sagte Anna. » Liang bai ?«
Das Mädchen nickte.
»Nein danke«, sagte Anna, legte die Dose auf die Matte und ging weiter.
Der Tag war fast vorbei und das Bauernmädchen hatte nichts verkauft. Zu Hause lag ihre GroÃmutter in der dunklen Hütte und wartete auf sie. In Panik trat das Mädchen vor und packte die Ausländerin am Ãrmel, ehe diese wieder von der Menge verschluckt wurde. Das war ihre letzte Chance.
Anna drehte sich schnell um.
» Yi bai wu shi huai! Yi bai su shi! «, rief das Bauernmädchen.
»Nein, wirklich nicht«, sagte Anna. »Ich will sie nicht, auch nicht für hundertfünfzig.«
Annas Vater schob sich durch die kleine Menschenansammlung, die Anna und das Mädchen umringte. »Was ist denn los?«, fragte er.
»Sie will, dass ich diese Dose kaufe«, sagte Anna, die sich mittlerweile ärgerte. Das Bauernmädchen schob Mr White die Dose zu. Er betrachtete sie stirnrunzelnd.
»Hmm«, sagte er. »Sie sieht ziemlich wertvoll aus.«
»Ching-Dynastie«, erklärte eine der Umstehenden.
»Aber ich will sie nicht!«, beharrte Anna.
» Yi bai! Yi bai kuai! «, rief das Bauernmädchen.
»Mmm. Sie verlangt hundert Yuan«, sagte Mr White. »Aber man sollte den Preis immer um die Hälfte herunterhandeln. Sie glauben alle, wir seien aus Geld gemacht, und sie versuchen immer, uns überâs Ohr zu hauen.
Fünfzig!«, sagte er laut zu dem Bauernmädchen. » Wu shi yuan .«
Das Bauernmädchen war entsetzt. Wild schüttelte sie den Kopf und schnappte sich die Dose. Mr White zuckte mit den Schultern und drehte ihr den Rücken zu. Die Menschen kicherten.
»Sie wird uns nachkommen«, flüsterte er Anna zu.
Und tatsächlich: Als sie weggehen wollten, nahm das Bauernmädchen wieder Annas Arm und starrte sie mit flehenden Augen an. » Ba shi «, sagte sie. » Ba shi! Ba shi! « Sie legte die kostbare Dose in Annas Hände und wölbte ihre eigenen darüber.
»Nein!«, sagte Mr White bestimmt und schüttelte den Kopf. »Nicht achtzig! Fünfzig!«
»Dad! Ich will sie nicht!«
Mr White versuchte, seine Tochter aus dem Griff des Bauernmädchens zu befreien. Die gaffenden Zuschauer rückten näher.
» Wu shi! «, heulte das Bauernmädchen
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