Shanghai Love Story
Stimme.
Chenxi schwang sein Bein über seinen alten braunen Drahtesel und trat in die Pedale. Anna folgte ihm auf ihrem bonbonfarbenen Rad. Gemeinsam fuhren sie aus dem Tor.
»Ich nicht wissen«, brummte Chenxi schlieÃlich.
»Was meinst du damit?«, fragte Anna. »Machen wir nicht mit den anderen einen Ausflug?«
Er schüttelte den Kopf. »Nicht für Ausländer.«
»Was?«
»Morgen die anderen fahren nach Süden zu andere Volksgruppe, zum Malen. Gebiet für Ausländer nicht erlaubt. Wir müssen an anderen Ort.«
»Nicht für Ausländer erlaubt?«
Er nickte. »Für Ausländer verboten.«
»Aber das ist doch verrückt!«, protestierte Anna. Sie hatte gehört, dass Chinesen der Zutritt zu einigen Orten verwehrt war, wo ausschlieÃlich Ausländer verkehrten, aber sie hatte noch nie gehört, dass es Orte gab, wohin Ausländer nicht gehen durften. Anna war fassungslos. »Aber warum?«
Chenxi zuckte mit den Schultern. »Regierung nicht wollen, dass Ausländer alles sehen. Regierung wollen, dass Ausländer nur schöne Orte sehen, Orte ohne Probleme. Dann gehen Ausländer nach Hause und sagen allen, wie schön und friedlich China ist.«
Chenxi fuhr schneller, um einen Bus zu überholen, der seine Fahrt verlangsamte. Anna blieb zurück und wurde umgehend von einem jungen Mann mit dicken Brillengläsern angesprochen, der zu ihr aufschloss. »Hallo! Hallo!«, rief er. Sie trat fester in die Pedale.
Als Anna Chenxi schlieÃlich einholte, war sie auÃer Atem. Sie ärgerte sich darüber, dass er immer so schnell fuhr. »Hör zu, es tut mir leid. Ich wusste das nicht«, keuchte sie. Sie hatte Chenxi schon wieder Ãrger gemacht. »Ich bleibe einfach zwei Wochen zu Hause. Das ist okay. Du darfst den Ausflug nicht verpassen. Fahr mit. Ich bleibe zu Hause. Die Sekretärin sagte, sie könnte mir einen Privatlehrer besorgen. Mach dir keine Sorgen um mich.«
Chenxi drehte sich immer noch nicht zu ihr um. Er schüttelte den Kopf. »Direktor sagen, ich mich um dich kümmern.«
»Keine Sorge, ich werde ihm nichts sagen. Er wird es nicht erfahren. Was er nicht weiÃ, macht ihn nicht heiÃ, stimmtâs?«
»Oh, sie erfahren es. Sie erfahren alles. Du müssen mit mir kommen. Ich schon wissen, wohin wir gehen. Wir besuchen Schwester. Sie leben in Shendong, bei Xian. Sie haben zwei Söhne. Ich sie nicht sehen lange Zeit.«
Anna merkte, dass sie in Richtung ihrer Wohnung fuhren. »Es tut mir leid«, sagte sie noch einmal und kaute auf ihrer Unterlippe.
Chenxi antwortete nicht.
Seite an Seite fuhren sie die Huai Hai Lu entlang, die StraÃe, die Anna mittlerweile fast so vertraut war wie die StraÃen in Melbourne. Sie kannte alle Geschäfte. Die Boutiquen mit den staubigen Blusen im Schaufenster, die Gemüsehändler und die Apotheken mit den fremdartigen getrockneten Kräutern und Körperteilen von Tieren. Sie war seit einer Woche in Shanghai. Manchmal kam es ihr zwar vor, als wäre sie erst gestern angekommen, aber meistens fühlte sie sich hier schon fast wie zu Hause.
Manchmal konnte sie sich nicht mehr daran erinnern, was für ein Leben sie geführt hatte, bevor sie Chenxi kennengelernt hatte. Er war immer in ihren Gedanken. Melbourne und ihr Alltag dort lagen auf einem anderen Planeten. Die wenigen Male, die sie mit ihren Freundinnen oder Schwestern telefoniert hatte, waren von den gleichen banalen Themen geprägt gewesen, die auch schon ihr Leben zu Hause bestimmt hatten. Es fiel ihr schwer, sich darauf einzulassen. Sie fühlte sich anders. Verändert. Chenxi war ihr köstliches Geheimnis. Sie glaubte nicht, dass irgendjemand zu Hause ihre Leidenschaft begreifen würde. Sie verstand sich ja selbst kaum.
Abgesehen von diesem einen erleuchteten Moment, als sie über sein Gemälde gesprochen hatten, war Anna Chenxi immer noch keinen Schritt näher gekommen. Es schien ihr so, als ob sie ihn weniger kennen würde, je mehr Zeit sie mit ihm verbrachte. Und je distanzierter und gleichgültiger er sich ihr gegenüber benahm, desto verzweifelter wollte sie ihn verstehen. Sie wollte wenigstens wissen, ob sie ihm etwas bedeuten könnte. Sie konnte den Gedanken nicht ertragen, dass er möglicherweise nichts für sie empfand. Vielleicht würde die Zeit im Kreise seiner Familie ihr die Chance eröffnen, die sie brauchte.
Sie bogen
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