Shanghai Love Story
und hielt Anna eisern fest. » Wu shi! Wu shi! «
»Dad!«
Mr White schälte drei knisternde Geldscheine von dem Bündel in seiner Brieftasche. Zwei Zwanziger und einen Zehner. Er schob dem Mädchen die sauberen Scheine in die dunkle Hand und nahm die silberne Schnupftabakdose.
Das Bauernmädchen schaute auf die fremden Geldscheine in ihren zitternden Händen. Als sie den Kopf hob, waren die Ausländer weg und die Menge hatte sich zerstreut. Sie schlurfte zu ihrer Matte zurück und sah, dass der Anhänger aus Jade, der dort gelegen hatte, gestohlen worden war.
Anna saà unglücklich im Fond des klimatisierten Taxis. Sie schaute auf die kleine Silberdose in ihrer Hand. Sie öffnete den Deckel und ein leicht staubiger Geruch trat aus. Auf der Unterseite war mit zitternder Hand ein chinesisches Schriftzeichen eingraviert.
»Das war ein guter Fang, Anna«, sagte ihr Vater zufrieden vom Beifahrersitz aus. »Für die Dose hättest du bei einem Antiquitätenhändler gut und gerne fünfhundert Yuan bezahlen müssen.«
Anna seufzte. Sie wusste genau, warum sie sich nicht freuen konnte. Sie sah sich mit Chenxis Augen: die privilegierte Ausländerin mit einem endlosen Vorrat an Devisen. Sie fragte sich, ob seine distanzierte Haltung ihr gegenüber mehr mit dem zu tun hatte, was sie repräsentierte, als damit, wer sie war. Sie würde ihm beweisen, dass sie anders war. Sie war keine reiche und geldgierige Kapitalistin wie die meisten anderen Ausländer in Shanghai. Sie war eine Künstlerin. Sie lebte für die Kunst. Wie er. Sie würde ihm zeigen, dass sie mehr gemeinsam hatten, als er glaubte.
Kapitel 12
Als Anna am Montag in der Akademie ankam, war kein Mensch da. Verärgert darüber, dass man sie nicht über einen offenkundigen Feiertag informiert hatte, wollte sie schon wieder wegfahren, als sie die Sekretärin des Direktors aus der Kantine kommen und auf das Hauptgebäude zugehen sah. Anna fuhr ihr hinterher. Die Sekretärin drehte sich um, aber als sie Anna erkannte, legte sich ein gereizter Ausdruck auf ihr Gesicht.
»Miss Anna!«
»Wo sind denn die anderen?«
»Kein Kurs«, sagte die Sekretärin kurz angebunden. »Wie du sagen? Naturstudien. Alle Studenten abreisen morgen für zwei Wochen. Was wollen tun? Wollen Privatlehrer zu Hause?«
»Nun, ich wäre lieber mit den anderen gefahren«, schmollte Anna. »Immerhin bin ich eine Studentin dieser Akademie, oder etwa nicht?«
Die Sekretärin holte tief Atem. »Kommen mit.«
Anna kettete ihr Fahrrad an den leeren Fahrradständer und folgte ihr in das Büro des Direktors.
Der Direktor war noch weniger erfreut als seine Sekretärin, die ausländische Studentin zu sehen. Anna konnte förmlich sehen, wie er überlegte, ob die auÃerordentlich hohen Studiengebühren, die ihr Vater bezahlte, die Umstände, die sie machte, auch wirklich wert waren.
Seine Sekretärin erklärte die Situation und sie redeten eine Weile miteinander, deuteten dabei auf Karten und Kalender. Irgendwann fiel auch Chenxis Name, und obwohl es ihr leidtat, ihn in ihre Probleme mit hineinzuziehen, war Anna froh, dass er sich weiterhin um sie kümmern durfte. Sie hätte den Gedanken nicht ertragen, zwei Wochen in Shanghai zu sitzen, ohne ihn zu sehen.
Der Direktor hob den Telefonhörer ab und fragte nach Chenxi. Er wartete ziemlich lange, klopfte mit seinem Stift ungeduldig auf die Tischplatte, aber als Chenxi endlich in der Leitung war, fiel das Gespräch äuÃerst kurz aus.
Der Direktor legte den Hörer auf und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Die Sekretärin nahm Annas Hand und sagte: »Chenxi kommen.«
Anna entspannte sich. Ein Ausflug mit Chenxi! Zu dritt saÃen sie schweigend da und wichen den Blicken der jeweils anderen aus, bis Chenxi zehn Minuten später eintraf.
»Hallo«, sagte Anna unsicher.
Chenxi warf ihr ein dünnes Lächeln zu, schaute ihr aber nicht in die Augen.
Der Direktor bellte ein paar Befehle und Chenxi nickte.
»Du gehen mit Chenxi«, sagte die Sekretärin. Sie und der Direktor standen auf und warteten, bis Chenxi und Anna das Zimmer verlassen hatten.
DrauÃen versuchte Anna, über ihr Fahrrad hinweg ein Gespräch mit Chenxi anzufangen. Er schloss die Kette seines Fahrrads auf und wollte sie immer noch nicht anschauen. »Wohin fahren wir?«, fragte sie mit honigsüÃer
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