Shanghai Love Story
Luft schien vor Unsicherheit und Verlangen zu vibrieren. Anna stützte sich auf die Ellbogen und schaute in Chenxis Gesicht. Seine Haut dort war glatt und faltenlos. Die Muskeln um seine Augen waren zumeist untätig, selbst wenn er lächelte. Aber als sie genau hinschaute, sah Anna ein Feuer glimmen. Dann war es verschwunden.
»Ich müssen gehen!« Seine Stimme war rau, und noch ehe sie protestieren konnte, war er schon dabei, sich anzuziehen.
»Bleib!«
»Bitte mich nicht darum.«
»Dann lass uns im Park spazieren gehen.« Sie wollte jetzt noch nicht von ihm getrennt sein.
Am Eingang zum Fuxing-Park hockte der alte Wahrsager. Anna hatte oft zugeschaut, wenn er Leuten aus der Hand las und in ihren Gesichtern forschte, ob sie mit den Prophezeiungen zufrieden waren. Manchmal hatte er sie dabei ertappt und ihr zugerufen: »Ich sagen deine Zukunft. Sagen deine Zukunft, kleine Miss Wai guo ren . Ich sprechen gut Englisch. Ich dir sagen, wen heiraten!« Aber Anna hatte sich nie getraut.
Heute, mit Chenxi an ihrer Seite und dem Nachhall seiner Haut auf ihrer, fühlte sie sich wagemutig und zog ihn zum Stand des Wahrsagers. Das Gesicht des Mannes leuchtete auf.
»Na komm!«, bat Anna kokett, aber Chenxi schob die Hände in die Hosentaschen. »Nur aus SpaÃ!«
»Ich nicht glauben diese Quatsch!«
»Ach, komm schon!« Anna kicherte und streckte dem alten Mann ihre Handfläche entgegen. Er nahm sie in seine wettergegerbten Hände und runzelte die Augenbrauen, während er mit einem gelben Fingernagel die Linien auf ihrer Handfläche entlangstrich.
»Du haben langes Leben â¦Â«, murmelte er. »Du haben viel Geld und viel Erfolg â¦Â« Anna lächelte vor sich hin. Es war immer das Gleiche.
Die Augenbrauen des alten Mannes zuckten nach oben. »Du haben viele Kinder!«, quietschte er. »Mit ihm!« Er deutete auf Chenxi. Anna zog ihre Hand weg, als hätte sie sich verbrannt.
»Ach Unsinn!«, lachte sie.
»Es stimmt! Es stimmt! Du diesen Mann heiraten!«
»Komm mit«, sagte Chenxi grob. »Lass uns gehen.« Er fischte eine Münze aus seiner Hosentasche, aber der alte Mann packte Chenxis Hand und warf einen Blick auf seine Handfläche.
Die Augen des Wahrsagers weiteten sich entsetzt. »Und du, mein Sohn«, krähte er, »werden folgen dem Pfad deines Vaters.«
Chenxi zog Anna am Arm in den Park, während der Wahrsager hinter ihnen kreischend auflachte.
»Keine Sorge«, sagte Anna, »ich glaube auch nicht an diesen Unfug. Es ist nur aus SpaÃ. Er sagt doch allen Leuten das Gleiche.«
»Wir alle wählen Weg, den wir gehen«, murmelte Chenxi und starrte voraus. Anna folgte ihm mit kleinen, verspielten Sprüngen.
Im Schutz eines kleinen Steingartens fanden Chenxi und Anna eine Bank, wo sie vor neugierigen Augen geschützt waren. Zu ihren FüÃen wanden sich Goldfische mit glänzenden Schuppen in einem Teich und wirbelten im Hochschwimmen das Wasser auf, als Chenxi sich räusperte und in den Teich spuckte. Anna starrte auf die groÃen Glubschaugen der Fische und überlegte, wo sie anfangen sollte.
»Chenxi, ich habe lange darüber nachgedacht.« Ihr Herz hämmerte. Sie hatte vor, ihm ihre wahren Gefühle für ihn zu offenbaren, und sie konnte den Gedanken an eine Zurückweisung nicht ertragen. Aber wenn sie jetzt nicht sprach, dann würde sie es nie genau wissen. Nach dem heutigen Tage war sie sich allerdings sicher, dass er sie auch liebte.
»Ich glaube, ich weiÃ, wie ich dir helfen kann«, sagte sie.
Chenxi zündete sich eine Zigarette an.
Anna holte tief Atem. »Ich kann dich mit nach Melbourne nehmen. Dort bist du in Sicherheit. Wir könnten wegen der Papiere natürlich heiraten, aber das Wichtigste ist, dass du China verlassen kannst.«
Chenxi betrachtete die Spitze seiner Zigarette und blies sanft darauf. »Ich nicht wollen verlassen China. Warum du denken, ich wollen weg aus China?«
»Ach, Chenxi. Du bist bloà durcheinander wegen dem, was der alte Mann gesagt hat. Er hat dich erschreckt, das ist alles. Ich weiÃ, was mit deinem Vater passiert ist. Ich weiÃ, wie du über Ausländer denkst, aber das ist doch lächerlich! Ich biete dir die Möglichkeit, mit mir nach Australien zu kommen! China zu verlassen! Du bist nicht sicher in China. In Australien wirst du sicher sein.«
»Ich nicht wollen verlassen
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