Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Shanghai Love Story

Shanghai Love Story

Titel: Shanghai Love Story Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sally Rippin
Vom Netzwerk:
hauptsächlich jungen Männern.
    Â»Was ist das?«, fragte Anna. Nichts bereitete Laurent mehr Vergnügen, als sein Wissen zur Schau zu stellen. So konnte sie ihn dazu bringen, über etwas anderes zu reden, auch wenn sie ihm in Wahrheit gar nicht zuhören wollte. Er ging ihr auf die Nerven, aber abgesehen von Chenxi und ihrem Vater war er der einzige Mensch in Shanghai, mit dem sie sich unterhalten konnte. Wieder einmal fühlte sie sich hilflos. Sie war vollkommen abhängig von jemandem, der für sie übersetzte und ihr half, sich in dieser unbegreiflichen Stadt zurechtzufinden.
    Laurent las die chinesischen Schriftzeichen unter den Fotografien. »Schau«, sagte er und schob sein Rad zu einem Bild etwas weiter die Straße entlang.
    Das Foto war verschwommen, aber man konnte eine Gruppe Menschen erkennen, die um einen Mann herumstanden, der auf dem Boden lag. Seine Hände waren hinter dem Rücken gefesselt, und ein Stück weit vor ihm lag sein abgeschlagener Kopf.
    Â»Siehst du? Das macht man hier mit Kriminellen«, sagte Laurent und deutete auf das Foto.
    Anna erschauerte. »Was haben sie angestellt?«
    Â»Die meisten waren Drogendealer.«
    Sie schaute ihn an. »Macht dir das keine Angst?« Sie deutete auf den kopflosen Mann auf der Fotografie.
    Â»Mir?« Laurent schnappte nach Luft. »Ich handele doch nicht mit Drogen!«
    Â»Du verkaufst Haschisch.«
    Â»Doch nur an die Leute an der Uni. Ich verkaufe ja das Zeug nicht, um Geld dabei zu verdienen. Du bist ja verrückt!«
    Anna hob die Augenbrauen und zuckte mit den Schultern. »Vielleicht.« Sie schob ihr Rad in den Verkehr hinein, froh, ihn los zu sein.

    Anna schaute ihrem Vater zu, wie er sich Salat auf den Teller häufte. Dann starrte sie geistesabwesend zu den anderen Tischen hin. Sie waren wieder in dem Restaurant, in dem das erste »ernsthafte« Gespräch über Annas Zukunft stattgefunden hatte. Ihre Gnadenfrist war vorbei.
    Ein Kellner mit einer Fliege stand in der Ecke und säuberte seine Ohren mit einem Essstäbchen. Anna lächelte. Langsam fing sie an, die Chinesen zu bewundern. Sie mochten ja Konformisten sein, von einem westlichen Standpunkt aus betrachtet, aber einzeln betrachtet waren sie erstaunlich individualistisch. Chenxis Ausstellung hatte sie berührt. Das war wahre Freiheit des Ausdrucks, dachte sie. Das war etwas Kraftvolles. Chenxi hatte recht. In Australien hätte es keine Bedeutung, wenn sich jemand in einer Kunstgalerie den Kopf scheren ließ. In China dagegen war es ein Akt der Herausforderung!
    Sie sehnte sich danach, ihn wiederzusehen. Wenn sie sich nur nicht so naiv und so verwöhnt benommen hätte. Sie würde ihm beweisen, dass sie mehr war als eine ignorante Ausländerin. Sie konnte lernen. Das Sprichwort stimmte: Je mehr man weiß, desto mehr weiß man, was man nicht weiß. Chenxi konnte ihr so viel beibringen. Wenn sie nur früher bereit gewesen wäre zu lernen, wenn sie sich weniger engstirnig und störrisch benommen hätte … Aber sie konnte es immer noch gutmachen. Ihr Vater bot ihr die perfekte Gelegenheit dazu. Ihre große Liebe – die Kunst – aufzugeben, um mit diesem aufgeblasenen Laurent zu studieren, war nur ein kleines Opfer angesichts der Tatsache, dass sie mit Chenxi zusammen sein konnte. Dies war Bestimmung. Das Problem hatte sich von selbst in Luft aufgelöst. Wieder einmal hatte Anna die Entscheidung dem Schicksal überlassen können.
    Â»Dad, ich habe mich entschlossen, dein Angebot anzunehmen. Ich werde die Kunst sein lassen und ein Jahr lang in Shanghai bleiben, um Chinesisch zu studieren. Ich glaube, du hast recht. Es wäre eine fantastische Chance für mich.«
    Mr White hätte sich fast verschluckt. »Aber, Anna! Das ist ja großartig! Ich muss zugeben, ich hatte schon befürchtet, dass ich wieder einmal die Initiative übernehmen und dich zu deinem Glück zwingen müsste. Nun, Liebes, das sind fantastische Neuigkeiten! Ich werde die Sache gleich organisieren. Ich bin sicher, unser Freund Laurent wird uns eine große Hilfe sein.«
    Anna stocherte in ihrer Pasta herum. Mr White bestellte bei dem Kellner mit den sauberen Ohren eine zweite Flasche Wein.

Kapitel 23
    Am nächsten Morgen fuhren Anna und ihr Vater mit dem Taxi zur Kunstakademie. Eifrig bemüht, seine Tochter wieder auf den rechten Weg zurückzuführen, bestand er darauf, alles sofort

Weitere Kostenlose Bücher