Shanghai Love Story
China.«
»Du willst China nicht verlassen?« Anna war fassungslos. »Aber alle Studenten wollen weg aus China!« Anna stockte. Das hatte sie nicht erwartet.
»Aber, Anna, ich nicht bin âºalle Studentenâ¹.« Sein Lächeln wirkte gezwungen.
Anna starrte ihn an. Dann wandte sie sich ab und starrte in den Fischteich. »Du bist ja verrückt!« Sie war gekränkt und sie wollte auch ihn kränken. »Wenn du hier bleibst, bist du erledigt!«
»Ja«, sagte Chenxi, der jetzt breit grinste. »Ich bin verrückt. Das sagen meine Mutter, das sagen die in Akademie, das sagen Regierung â¦Â« Sein Grinsen verzog sich zu einer Miene der Verachtung. »Sie alle sagen, wie du, Künstler sein ist verrückt. Wenn du das denken, dann ich bin verrückt. Was ich sollen in Australien tun? Chinesisches Restaurant eröffnen, wie alle von meiner Familie in Amerika?«
»Ach, Chenxi! Du kannst ein Künstler sein! Du kannst frei sein!«
»In Australien mir nichts nützen, Künstler zu sein. Dort ich haben nichts zu sagen. Ich bin Künstler für China. China ist mein Land, das ich hassen und lieben, aber China ist ich. In Australien ich bin nichts. In Australien es nichts bedeuten, frei zu sein!« Chenxi trat den Zigarettenstummel mit der Ferse aus. Er schob sein Gesicht ganz nah an das von Anna. »Du verstehen?«, flüsterte er. »Nicht alle Chinesen wollen in dein tolles Australien gehen!«
Dann stand er auf und ging weg.
Die Schulkinder packten ihre Jojos ein und gingen nach Hause. Die Pärchen, die Hand in Hand herumgewandert waren, zogen sich in den Schatten der Bäume zurück, und der Fuxing-Park wurde in ein seidig-dunkles, geheimnisvolles Licht gehüllt. In vollkommenem Gleichklang erwachten die Lampen flackernd zum Leben und schienen dann hell. Unter einer von ihnen taumelte eine verwirrte Motte, unter einer anderen saà Anna. Als ihre Beine taub und ihre Arme in der abendlichen Kühle steif wurden, stand sie auf, durchquerte den Park und ging nach Hause.
Kapitel 22
Als Anna am nächsten Tag in die Akademie kam, stellte sie erleichtert fest, dass Chenxi nicht da war. Als er auch am zweiten Tag nicht kam, war sie verärgert. Am dritten Tag fing sie an, sich Sorgen zu machen. Als sie mittags mit Lao Li ihre Nudelsuppe aÃ, platzte sie heraus: »Lao Li, Chenxi zai nar ? Wo ist Chenxi?«
Lao Li schob seine Schüssel von sich, grinste geheimnisvoll und bedeutete Anna, ihm zu folgen. Sie schoben ihre Räder auf die belebte StraÃe und fuhren Seite an Seite die Huai Hai Lu entlang.
Als sie schon fast das Stadtzentrum erreicht hatten, signalisierte Lao Li Anna, in einen weiten Platz einzubiegen, der von langen grauen Gebäuden gesäumt war. Sie stellten ihre Räder in einem überfüllten Fahrradständer ab und gingen zu dem rechten Gebäude, vor dessen Fassade ein langes rotes Banner mit riesigen schwarzen chinesischen Schriftzeichen hing. Anna schaute Lao Li fragend an, aber er winkte ihr nur, dass sie ihm folgen solle.
Im Foyer erkannte Anna, dass sie sich in einer imposanten Galerie befanden. Lao Li führte sie die Treppe hinauf. Sie hörten Stimmengemurmel, das lauter wurde, als sie das oberste Stockwerk erreicht hatten. Eine Gruppe Menschen hatte sich versammelt, unter ihnen viele Ausländer und ein chinesisches Kamerateam. Anna überflog die Menge und sah Studenten aus der Akademie, die ihr zulächelten. Als sie sich durch die verschwitzten Körper schob, um nachzusehen, warum sie hier zusammengekommen waren, stand sie plötzlich Laurent gegenüber.
»He«, sagte er und schob Anna vor sich. »Schau dir das an! Dein Freund zieht hier eine ganz schöne Show ab!«
Anna schaute und hielt den Atem an. Auf einem alten Holzstuhl saà Chenxi mit nacktem Oberkörper. Hinter ihm stand Alter Wolf und rasierte langsam und gemessen mit einer antiken Rasierklinge Chenxis Haare ab. Er trug einen langen weiÃen Mantel, bedeckt mit chinesischen Zeitungsschnipseln. Dazwischen prangten Handabdrücke in blutroter Farbe. Als eine weitere Strähne von Chenxis Haaren zu Boden fiel, schrie Alter Wolf einige Worte. Anna stand wie erstarrt da und versuchte zu begreifen. Menschen und Kameras schoben sich vor sie, nahmen ihr die Sicht. Anna wollte in Chenxis Gesicht sehen, aber sein Kopf war so weit gesenkt, dass das Kinn die Brust berührte. Auf dem Boden lag sein blauschwarzes Haar,
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