Shannara I
sich durchzusetzen begannen. Aber es war Tyrsis, das mit seinen barbarischen Steinmauern und eisernen Kriegern das Südland geschützt und ihm Gelegenheit gegeben hatte, sich in eine neue Richtung zu entwickeln. Es gab auch Anzeichen für das Kommende in diesem pittoresken Land, Anzeichen, die von einer anderen Ära und einer nicht zu fernen Zeit sprachen.
Tyrsis war die Wegkreuzung der vier Länder, und durch seine Mauern und Landschaften strömten Angehörige aller Nationen, die den Einwohnern Gelegenheit gaben, zu sehen und zu begreifen, daß die Unterschiede in Gesicht und Körper bei den einzelnen Rassen unwichtig waren. Die Menschen hatten gelernt, die innere Person zu beurteilen. Ein riesiger Berg-Troll wurde nicht angestarrt und seiner bizarren Erscheinung wegen gemieden; Trolle kamen oft in dieses Land. Gnomen, Elfen und Zwerge aller Arten und Gattungen zogen regelmäßig hindurch, und wenn sie Freunde sein wollten, wurden sie willkommen geheißen. Balinor lächelte, als er von dieser neuen, sich ausbreitenden Erscheinung sprach, die endlich überall in den Ländern die Oberhand zu gewinnen schien, und er empfand Stolz darüber, daß sein Volk zu den ersten gehörte, die alte Vorurteile fallen ließen und nach gemeinsamen Grundlagen für Verständnis und Freundschaft suchten. Durin und Dayel lauschten in stummem Einverständnis. Die Elfen wußten, was es hieß, allein zu sein in einer Welt, die nicht über ihre eigenen Beschränkungen hinauszublicken vermochte.
Balinor war zu Ende gekommen, und die drei Kameraden erreichten eine breite Straße, die in der Dunkelheit dem Plateau entgegenführte. Sie waren nahe genug herangekommen, um die Lichter der weitläufigen Stadt und Menschen auf der Steinrampe wahrnehmen zu können. Der Eingang in der hochragenden Außenmauer zeichnete sich im Licht von Fackeln scharf ab. Die Riesentore mit ihren geölten Scharnieren standen offen. Sie wurden bewacht von einer Anzahl dunkel gekleideter Posten. Aus dem Innenhof glänzte das Licht der Kasernen herüber, aber man hörte kein Lachen, was Balinor merkwürdig fand. Die Stimmen, die zu vernehmen waren, klangen still und gedämpft, als wolle niemand belauscht werden.
Die Elfen-Brüder folgten wortlos, als Balinor die Rampe hinabstieg. Mehrere Leute kamen an ihnen vorbei, und manche drehten sich erschrocken nach dem Prinzen von Callahorn um. Balinor ging auf diese merkwürdigen Blicke nicht ein und achtete nur auf die Stadt vor sich, aber die Brüder wechselten Blicke. Irgend etwas war nicht in Ordnung. Sekunden später, als sie das Plateau erreichten, blieb Balinor plötzlich stehen. Er starrte durch das Stadttor, dann schaute er sich um nach den schattenhaften Gesichtern der vorbeigehenden Leute, die schnell in der Nacht verschwanden, sobald sie entdeckt hatten, wer er war. Die drei Männer standen eine Weile wie angewurzelt da.
»Was gibt es, Balinor?« fragte Durin schließlich.
»Ich weiß nicht recht«, erwiderte der Prinz sorgenvoll. »Seht euch die Abzeichen der Wachen an. Keiner trägt das Wappen des geduckten Leoparden - das Abzeichen meiner Leute. Statt dessen sieht man einen Falken, ein Zeichen, das ich nicht kenne. Auch die Menschen - habt ihr ihre Blicke gesehen?«
Die beiden Elfen nickten und sahen sich betroffen um.
»Nun, macht nichts«, sagte Balinor. »Das ist immer noch die Stadt meines Vaters, und es ist mein Volk. Wir kommen der Sache auf den Grund, wenn wir im Palast sind.«
Wieder ging er auf das gigantische Tor zu, gefolgt von den Elfen. Der hochgewachsene Prinz unternahm nicht den Versuch, sein Gesicht zu verbergen, als er sich den vier bewaffneten Wachen näherte, und sie reagierten nicht anders als die Leute vorher. Sie hielten den Prinzen nicht auf und sprachen ihn nicht an, aber einer von ihnen verließ hastig seinen Posten und verschwand durch das Tor der Innenmauer in den Straßen der Stadt. Balinor und die Elfen traten durch den Schatten des Riesentores, das in der Dunkelheit wie ein monströser steinerner Arm über ihnen zu hängen schien. Sie gingen vorbei an den offenen Torflügeln und den wachsamen Posten, kamen in den Innenhof, wo sie die niedrigen, spartanischen Kasernen der Grenzlegion sehen konnten. Es brannten nur wenige Lichter, und die Gebäude schienen beinahe verlassen zu sein. Ein paar Männer trugen Röcke mit dem Leoparden-Abzeichen, aber keine Rüstung und keine Waffen. Einer von ihnen riß die Augen auf, als die drei Männer stehen blieben, und rief seinen Kameraden
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