Shannara I
Menions war es, daß jemand sie dem Feind verriet, bevor sie Gelegenheit hatten, zu handeln. Jemand hatte Shirl in ihrem eigenen Haus überfallen, sie aus der dichtbevölkerten Stadt gebracht und den Trollen übergeben - eine Aufgabe, die von keinem zu bewältigen gewesen wäre, der nicht mit der Umgebung vertraut war. Wer diese Person auch sein mochte, sie war frei und unentdeckt geblieben. Wenn sie die Einzelheiten des Evakurierungsplanes erfuhr, mochte sie versuchen, die Nordland-Armee zu warnen.
Der Rest des Tages verging für Menion sehr schnell. Für den Augenblick waren Shea und seine Begleiter der letzten Wochen vergessen. Zum ersten Mal, seitdem Shea ihn im Hochland aufgesucht hatte, stand der Prinz von Leah vor einem Problem, das er voll und ganz begriff, das Fähigkeiten verlangte, die er einzusetzen wußte. Der Feind war nicht länger der Schädelkönig oder seine Geisterwesen, der Feind war aus Fleisch und Blut - Wesen, die nach denselben Regeln wie andere Menschen lebten und starben und deren Drohung der Hochländer verstand. Vor allem kam es auf die Zeit an, und er stürzte sich entschlossen in die Arbeit, eine ganze Stadt zu retten.
Gemeinsam mit den Räten überwachte er den Bau der riesigen Holzflöße, mit denen die Mehrheit der belagerten Bevölkerung auf dem noch immer angeschwollenen Mermidon nach Tyrsis gebracht werden sollte. Bestiegen werden sollten sie am Südwestufer, unmittelbar unterhalb der Stadt. Es gab eine breite, aber gut geschützte Bucht, von der aus die Flöße und kleineren Boote im Schutz der Dunkelheit ablegen konnten. Dem Einschnitt unmittelbar gegenüber standen am anderen Ufer niedrige Hügel, die bis zum Wasser hinabreichten. Menion glaubte, eine Handvoll Männer könne den Fluß überqueren, wenn der Hauptangriff auf das feindliche Lager in der Nacht begann, und den kleinen Vorposten überwältigen. Danach konnten die Flöße und Boote ablegen und sich von der Strömung flußabwärts tragen lassen, dem Südarm des Mermidon nach Tyrsis folgend. Wenn der Himmel bewölkt blieb, wenn die vorgeschobenen Posten zurückgezogen wurden, sobald die Attacke begann, wenn die Menschen auf ihren Flößen still blieben, mochte die Evakuierung gelingen.
Aber am späten Nachmittag hörte der Regen ganz auf, und die Wolken rissen auf, so daß man schmale, blaue Streifen Himmel erkennen konnte. Der Sturm zog ab, und es hatte den Anschein, als werde der Nachthimmel wolkenlos sein und das Land unter dem entlarvenden Licht des Mondes und Tausender heller Sterne liegen. Menion saß in einem der kleineren Räume des Ratsgebäudes, als er sah, wie es aufklarte, und seine Aufmerksamkeit wurde von der großen Landkarte auf dem Tisch vorübergehend abgelenkt. Neben ihm standen zwei Angehörige der aufgelösten Grenzlegion, Janus Senpre, ein Oberstleutnant, und ein grauhaariger alter Soldat namens Fandrez. Der letztere kannte das Land rund um Kern besser als jeder andere und war hinzugezogen worden, um den Angriffstrupp zu beraten. Senpre, sein Vorgesetzter, war für seinen Rang überraschend jung, aber ein tüchtiger, entschlossener Offizier, der ein Dutzend Dienstjahre hinter sich hatte. Er war ein begeisterter Anhänger Balinors und hatte, wie Menion, erschrocken auf die Tatsache reagiert, dass von Tyrsis keine Nachricht über das Eintreffen des Prinzen gekommen war. Früher am Nachmittag hatte er zweihundert erfahrene Soldaten aus der dezimierten Legion ausgesucht, um mit ihnen das feindliche Lager anzugreifen.
Menion hatte seine Hilfe angeboten, die man dankbar annahm. Der Hochländer war noch immer zerschlagen von seinen Strapazen, weigerte sich aber, bei den zu Evakuierenden zu bleiben. Flick hätte seine Beharrlichkeit als ein unvernünftiges Gemisch von Halsstarrigkeit und Stolz abgetan, aber Menion Leah wollte nicht vergleichsweise ungefährdet auf der Insel bleiben, während am anderen Ufer ein Gefecht stattfand.
»Diese Stelle - hier bei der Spinn-Barre - , da muß die Landung erfolgen«, knurrte Fandrez und unterbrach Menions Gedankengänge. Janus Senpre nickte und sah Menion fragend an. Der Hochländer stimmte zu.
»Man wird hier bei der Sandbank überall Posten aufgestellt haben«, sagte Menion. »Wenn wir sie nicht sofort überwältigen, könnten sie uns den Rückweg abschneiden.«
»Ihr müßt sie von dort fern- und den Weg freihalten«, sagte der Offizier.
Menion wollte etwas einwenden, kam aber nicht zu Wort.
»Ich weiß Euren Wunsch zu schätzen, uns zu begleiten, Menion,
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