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Shannara I

Titel: Shannara I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Brooks
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verstummte plötzlich, als sein Blick auf den Dolch fiel. Er hob ihn schnell auf, schob ihn in den Gürtel und lächelte seinen Bruder schief an, genau wie ein kluges Kind, das sich einer Rüge hat entziehen können. In Balinor gab es keinen Zweifel mehr, daß sein Bruder keine vernünftigen Entscheidungen mehr treffen konnte. Er wußte nun auch, warum ihn eine innere Stimme davor gewarnt hatte, sich auf Palance zu stürzen und ihn als Geisel zu nehmen. Wenn er das versucht und die Flucht ergriffen hätte, mit seinem Bruder als Gefangenem, wäre der bösartige Stenmin in die Lage versetzt worden, auf einen Schlag sein Ziel zu erreichen und beide Brüder zu töten. Er hätte dann behaupten können, Palance sei bei einem Fluchtversuch seines Bruders ums Leben gekommen. Wer wäre dann noch fähig gewesen, den Bösewicht daran zu hindern, daß er sich an die Spitze der Regierung setzte? Er hätte ganz allein über das Schicksal des Südlandes bestimmen können.
    »Palance, hör mir zu, ich flehe dich an«, sagte Balinor. »Wir haben uns früher so gut verstanden. Wir waren mehr als Brüder, wir waren Freunde und Gesellen. Wir haben einander vertraut, einander geliebt, und wir konnten uns über alles aussprechen. Das kannst du nicht alles vergessen haben. Hör mich an! Selbst ein König muß versuchen, sein Volk zu verstehen, auch wenn die Menschen nicht mit allem einverstanden sind, was er tut. Das gibst du doch zu, nicht wahr?«
    Palance nickte, die Augen leer und starr, während er versuchte, den Nebel zu vertreiben, der sein Gemüt einhüllte. Ein Schimmer von Verständnis schien aufzuflackern, und Balinor war entschlossen, dorthin vorzustoßen, wo die Erinnerung an früher verborgen war.
    »Stenmin benützt dich als Werkzeug - er ist ein böser Mensch.« Sein Bruder zuckte zusammen und trat einen Schritt zurück. »Du mußt das begreifen, Palance. Ich bin weder dein Feind noch der Feind dieses Landes. Ich habe unseren Vater nicht vergiftet. Ich habe Shirl nichts getan. Ich möchte nur helfen…« Sein Appell wurde schlagartig unterbrochen, als sich die Zellentür knarrend öffnete und das heimtückische Gesicht Stenmins auftauchte. Er verbeugte sich ironisch und trat ein, den Blick unverwandt auf Balinor gerichtet.
    »Ich dachte, ich hätte Euch rufen hören, mein König«, sagte er mit einem Lächeln. »Ihr seid so lange allein mit diesem Mann gewesen, daß ich fürchtete, es könnte etwas geschehen sein…«
    Palance starrte ihn einen Augenblick verständnislos an, dann schüttelte er den Kopf und wandte sich zum Gehen. Balinor überlegte noch einmal, ob er etwas unternehmen, sich auf den Mystiker stürzen und ihm das Genick brechen sollte, bevor die Wachen einzugreifen vermochten. Er zögerte jedoch, weil er nicht wußte, ob das ihm und seinem Bruder helfen würde, und die Gelegenheit entschwand. Die Wachen kamen wieder herein und brachten die Elfen-Brüder zurück, die sich zweifelnd umsahen, bevor sie zu ihrem Kameraden traten. Balinor fiel plötzlich ein, daß Palance von einem Prinzen aus einem kleinen Südland-Reich gesprochen hatte - von einem Prinzen, der Shirl gerettet haben sollte. Menion Leah! Aber wie war er nach Callahorn gekommen …?
    Die Wachen wandten sich zum Gehen, und mit ihnen der stumme Palance, geleitet von einem rotumkleideten Arm des Mystikers. Plötzlich drehte sich die hagere Gestalt noch einmal um. Stenmin legte den Kopf auf die Seite, betrachtete die Gefangenen und lächelte schwach.
    »Falls mein König vergessen haben sollte, es zu erwähnen, Balinor«, sagte er schleppend, »die Wachen an der Außenmauer haben Euch mit einem gewissen Hauptmann Sheelon sprechen sehen, einem ehemaligen Angehörigen der Grenzlegion. Er stand im Begriff, sich wegen Eurer heiklen Lage an andere zu wenden, als er ergriffen und festgesetzt wurde. Ich glaube nicht, daß er noch viel Gelegenheit haben wird, uns Schwierigkeiten zu bereiten. Die Angelegenheit ist abgeschlossen, und mit der Zeit wird man auch Euch vergessen.«
    Balinors Mut sank. Wenn Sheelon gefaßt und eingesperrt worden war, bevor er Ginnisson und Fandwick hatte erreichen können, würde es niemanden geben, der die Grenzlegion wieder zusammenrufen konnte, niemanden, der sich zu Balinors Gunsten an das Volk zu wenden vermochte. Balinors Genossen würden beim Eintreffen nicht ahnen können, daß er in den Kerker geworfen worden war, und was würden sie zu tun vermögen, auch wenn sie Verdacht schöpften? Nur ganz wenige Leute wußten von diesen

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