Shannara I
seine Kameraden mitzunehmen.
Höndel brauchte viele Stunden, um nach Tyrsis zurückzugelangen. Der Weg war gefährlich, da es in den Wäldern von Gnomenjägern wimmelte, deren Aufgabe es war, jede Verständigung zwischen den Städten Callahorns zu unterbinden. Mehr als einmal hatte Höndel sich verbergen müssen, bis eine große Patrouille vorbeigezogen war, und immer wieder sah er sich gezwungen, weite Umwege zu machen. Das Netz der Vorposten war viel enger als in den Drachenzähnen, für den erfahrenen Grenzlandkämpfer ein Beweis dafür, daß der Angriff kurz bevorstand. Wenn die Nordländer Varfleet in den nächsten Tagen angreifen wollten, würde auch Tyrsis mit einer Attacke zu rechnen haben. Die kleinere Inselstadt Kern mochte bereits gefallen sein. Es wurde Tag, bis es dem Zwerg gelang, die letzte Postenkette zu durchbrechen und die Ebenen oberhalb von Tyrsis zu erreichen.
Er betrat die erwachende Stadt Tyrsis, unauffällig in der Mitte einer Schar von Händlern und Reisenden. Stundenlang wanderte er durch die fast verlassenen Kasernen der Grenzlegion, sprach mit Soldaten und suchte Hinweise auf seine Freunde. Endlich konnte er in Erfahrung bringen, daß sie vor zwei Tagen abends erschienen und direkt zum Palast gegangen seien. Man habe sie nicht wieder auftauchen sehen, aber man nehme allgemein an, Balinor habe nur kurz seinen Vater besucht und sei dann wieder fortgegangen. Höndel wußte, was das bedeutete, und postierte sich für den Rest des Tages in der Nähe des Palastbereiches.
Er bemerkte, daß der Palast gut bewacht wurde, von Soldaten mit dem Abzeichen eines Falken, das er nicht kannte. Sie standen an den Haupttoren und in der ganzen Stadt, und andere Einheiten schien es offenbar nicht zu geben. Selbst wenn er Balinor am Leben fand und ihn zu befreien vermochte, würde es nicht einfach sein, die Herrschaft über die Stadt wiederzuerlangen und die Grenzlegion zusammenzurufen. Der Zwerg hörte nichts von einer Invasion aus dem Norden, und es hatte ganz den Anschein, daß die Bevölkerung völlig ahnungslos war. Höndel konnte nicht begreifen, daß Palance Buckhannah sich weigerte, die Stadt gegen eine so ungeheuerliche Bedrohung wie jene durch den Dämonen-Lord zu verteidigen. Wenn Tyrsis fiel, würde der jüngere Sohn Ruhl Buckhannahs keinen Thron mehr besitzen. Höndel betrachtete das Gelände im Volkspark unter der Brücke von Scendic genau, und als es dunkel wurde, setzte er seinen Plan in die Tat um.
Er blieb nun in dem dunklen Raum kurz stehen, um das Fenster fest zu schließen. Er befand sich in einem kleinen Arbeitszimmer. An den Wänden standen gefüllte Bücherregale. Es war die Privatbibliothek der Buckhannah-Familie, ein Luxus in diesen Zeiten, da kaum noch Bücher geschrieben wurden und nur wenige lesen konnten. Die Großen Kriege hatten jede Art von Literatur nahezu beseitigt. Eine Privatbibliothek zu besitzen, mit Hunderten von Bänden, und sie lesen zu können, war ein Vorzug, den nur wenige genossen.
Aber Höndel befaßte sich nicht mit dem Raum, als er auf katzenleisen Sohlen zur Tür schlich, unter der er einen Lichtschein erkannte. Vorsichtig starrte der Zwerg hinaus. Niemand zeigte sich, aber er sah plötzlich ein, daß er sich über den nächsten Schritt noch keine genauen Gedanken gemacht hatte. Balinor und die Elfen mochten überall im Palast sein. Nachdem er sich schnell die Alternativen überlegt hatte, kam er zu dem Schluß, daß sie, wenn sie noch am Leben waren, in den Kellern unter dem Palast eingeschlossen sein mußten. Dort gedachte er zuerst zu suchen. Er lauschte noch einen Augenblick, atmete tief ein und trat dann in den beleuchteten Korridor hinaus.
Höndel kannte sich im Palast aus, da er Balinor öfter als nur einmal besucht hatte. Er wußte nicht mehr genau die Lage aller Räume, kannte aber die Hallen und Treppen und wußte auch von den Kellern, in denen Wein und Nahrungsmittel gelagert wurden. Am Ende des Korridors wandte er sich nach links, überzeugt davon, daß die Kellertreppe gleich dahinter liegen mußte. Er erreichte die massive Tür, mit der die Kälte der unteren Gänge ferngehalten wurde, als er hinter sich Stimmen hörte. Hastig zerrte er an der Tür, aber zu seinem Schrecken wollte sie nicht aufgehen. Er riß mit aller Macht daran, doch sie gab nicht nach. Die Stimmen wurden lauter und lauter, und er suchte verzweifelt nach einem Versteck. Sein Blick fiel plötzlich auf einen Sicherungshaken in Bodennähe, den er übersehen hatte. Während die
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