Shannara I
verschwand. Als er sich kurz umschaute, entdeckte er zu seinem Entsetzen, daß dort nichts war - nichts als dieselbe Schwärze, die ihn in schweren, undurchdringlichen Schichten umgab. Der Wind begann zu heulen, und er spürte in der Dunkelheit andere Wesen. Zuerst waren sie nur eine dunkle Ahnung in ihm, dann leise Schreie, die durch den Dunst zu dringen und sich fragend um ihn zu drängen schienen. Endlich erschienen sie als lebendige Leiber und berührten ihn mit krummen Fingern. Er lachte furienhaft auf und wußte auf irgendeine Weise, daß er sich nicht länger in einer Welt lebender Wesen befand, sondern in einer Welt des Todes, wo seelenlose Wesen in hoffnungsloser Suche nach einem Fluchtweg aus ihrem Gefängnis umherwanderten. Er stolperte zwischen sie hinein, lachend, vor sich hinschwätzend, sogar fröhlich singend. Sein Geist war nicht mehr Bestandteil des sterblichen Körpers. Ringsum folgten die Wesen der dunklen Welt in vertraulicher Gesellschaft. Sie wußten, daß der irrsinnige Sterbliche fast schon einer von ihnen war. Es handelte sich nur um eine Frage der Zeit. Wenn das sterbliche Leben erloschen wird, würde er sein wie sie - verloren auf ewig. Orl Fane würde endlich heimgefunden haben.
Fast zwei Stunden vergingen, während die Sonne emporstieg, und die drei Verfolger standen vor der Wand aus Nebel, in der ihr Opfer verschwunden war. Sie blieben stehen wie er und starrten stumm auf die unheimliche Schwärze, die Schwelle zum Reich des Dämonen-Lords. Der Dunst schien in Schichten auf der abgestorbenen Erde zu liegen, jede ein wenig dunkler als die andere, immer düsterer, immer unheimlicher. Panamon Creel ging mit gemessenen Schritten auf und ab, ohne den Blick von der Schwärze abzuwenden, während er seinen Mut zusammenzunehmen versuchte. Keltset hatte den Boden abgesucht und mit einer kurzen Bewegung angezeigt, daß der Gnom wirklich nach Norden weitergegangen war, dann erstarrte er zur Regungslosigkeit, die Arme verschränkt, die Augen schmale Schlitze unter den buschigen Brauen.
Es blieb keine andere Wahl, dachte Shea, bereits entschlossen, in seiner Hoffnung nicht einmal durch die Aussicht beirrt, dass sie in der Dunkelheit die Spur verlieren würden. Aus irgendeinem Grund war sein Selbstvertrauen zurückgekehrt. Auf einmal schien für ihn festzustehen, daß sie Orl Fane einholen und das Schwert an sich bringen würden. Irgend etwas trieb ihn an, beruhigte ihn, vertraute ihm an, daß er nicht scheitern werde - eine innere Stimme, die ihm neuen Mut einflößte. Er wartete ungeduldig auf Panamons Entschuß.
»Was wir tun, ist Wahnsinn«, murmelte der Scharlachrote, als er wieder einmal an Shea vorbeiging. »Ich spüre den Tod in dieser Wand…« Er verstummte und sah Shea an.
»Wir müssen weitergehen«, sagte Shea tonlos.
Panamon warf einen Blick auf seinen riesigen Freund, aber der Berg-Troll rührte sich nicht. Der Dieb wartete noch einen Augenblick, offenbar verstört, weil Keltset seine Meinung nicht kundgeben wollte. Früher, als sie zu zweit gewesen waren, hatte der Riese stets sein Einverständnis bekundet, wenn Panamon sich an ihn gewandt hatte, aber in der letzten Zeit hielt sich der Troll auffällig zurück.
Endlich nickte der Abenteurer, und die drei Männer stürzten sich in den Dunst. Der Boden war flach, und eine Weile kamen sie zügig voran. Als der Nebel dichter wurde, nahm die Sicht immer mehr ab, bis sie einander nur noch als verschwommene Schatten sahen. Panamon ließ haltmachen, zog einen Strick aus seinem Rucksack und schlug vor, sie sollten sich aneinander binden, um sich nicht aus den Augen zu verlieren. Sie taten es und gingen weiter. Man hörte nichts als das Scharren ihrer Stiefel auf der harten Erde. Der Nebel war nicht feucht, schien aber trotzdem auf eine höchst unliebsame Art an ihrer Haut zu haften. Shea erinnerte sich dabei an den düsteren, unheimlichen Nebelsumpf. Die Luft schien sich immer heftiger zu bewegen, je tiefer sie eindrangen, dabei schien kein Wind zu wehen. Schließlich waren sie von allen Seiten eingehüllt und standen in undurchdringlicher Dunkelheit.
Sie gingen, wie es schien, stundenlang, aber ihr Zeitgefühl verwirrte sich in dem lautlosen, schwarzen Dunst, der sie umgab. Das Seil bewahrte sie vor der Einsamkeit des Todes, der im Nebel lauerte, und es verband sie nicht nur untereinander, sondern auch mit der Welt von Sonne und Licht, die sie hinter sich gelassen. Es war eine Zwischenwelt, in die sie sich hineingewagt hatten, eine
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