Shannara I
weiter, als ich ihn werfen kann, und wahrscheinlich kann ich ihn nicht einmal hochheben.«
»Wir haben keine andere Wahl«, wiederholte Shea. »Du hättest nicht mitzukommen brauchen, weißt du.« Er wandte sich ab. »Entschuldige, Flick, aber wir müssen das nach meiner Weise machen.« Er ging weiter, und Flick folgte ihm kopfschüttelnd. Flick wußte, daß er voreingenommen war, was Menion Leah anging. Er mißbilligte ihn und alles, wofür er stand - schon seit ihrer ersten Begegnung vor fünf Jahren. Der einzige Sohn einer Familie, die seit Jahrhunderten das kleine Hochland-Königreich beherrschte, hatte Menion sein ganzes Leben lang einen tollen Streich nach dem anderen geliefert. Er hatte nie arbeiten müssen und war entweder beim Jagen oder beim Raufen zu finden gewesen. Seine Einstellung war beunruhigend. Nichts an seiner Familie, seiner Heimat oder seinem Land schien ihm viel zu bedeuten. Der Hochländer ging durchs Leben wie eine Wolke durch den leeren Himmel, ohne etwas zu berühren, ohne eine Spur zu hinterlassen. Es war diese unbekümmerte Haltung dem Leben gegenüber, die ihnen vor einem Jahr in den Schwarzen Eichen beinahe den Tod gebracht hätte. Shea fühlte sich aber trotzdem von ihm angezogen, und auf seine leichtfertige Art schien der Hochlandbewohner die Zuneigung ehrlich zu erwidern. Flick war jedoch nie davon zu überzeugen gewesen, daß man sich auf diese Freundschaft verlassen konnte, und nun gedachte Shea ihr Leben einem Manne anzuvertrauen, der von jedem Verantwortungsgefühl frei zu sein schien.
Es war später Nachmittag, als die beiden endlich die Ufer des breiten Rappahalladran erreichten. Shea ging am Fluß voraus, etwa eine Meile weit, bis sie eine Stelle erreichten, wo das gegenüberliegende Ufer heranrückte und das Flußbett merklich enger wurde. Hier blieben sie stehen und blickten hinüber zum Wald. Die Sonne würde in einer guten Stunde untergehen, und Shea wollte die Nacht nicht auf dem diesseitigen Ufer zubringen. Er fühlte sich erst sicher, wenn das Wasser zwischen ihm und etwaigen Verfolgern lag. Sie machten sich daran, ein kleines Floß zu bauen und nahmen ihre Handäxte und Jagdmesser zu Hilfe. Es sollte nur dazu dienen, ihre Bündel und die Kleidung zu tragen. Ein Floß von solcher Größe zu bauen, daß es sie selbst getragen hätte, hätte zuviel Zeit erfordert. Sie würden schwimmen müssen. Nach einer Stunde waren sie fertig, zogen sich aus, befestigten ihre Sachen auf dem Floß und stiegen in das kalte Wasser des Rappahalladran. Das einzige Problem bestand darin, einen geeigneten Landeplatz am hohen Ufer gegenüber zu finden. Die Strömung riß sie fast eine halbe Meile mit, aber als sie endlich drüben angelangt waren, sahen sie sich vor einer schmalen Öffnung, wo sie leicht anlegen konnten. Sie stiegen aus dem kalten Wasser, fröstelnd in der Abendluft, zerrten das Floß heraus, trockneten sich ab und zogen sich wieder an. Die Sonne war schon hinter den hohen Bäumen verschwunden. Ein rotes Leuchten erfüllte den Himmel.
Die Brüder einigten sich darauf, einige Stunden zu schlafen, um wieder zu Kräften zu kommen und die Reise nachts fortsetzen zu können. Sie rollten sich unter einer großen Ulme in ihre Decken und schliefen schnell ein. Erst gegen Mitternacht weckte Shea Flick mit leichtem Rütteln. Sie packten schnell ihre Sachen und machten sich daran, den Weg fortzusetzen. Einmal glaubte Shea am anderen Ufer etwas umherschleichen zu hören und warnte Flick erschrocken. Sie lauschten lange Minuten schweigend, konnten aber in der Schwärze der riesigen Bäume nichts erkennen und kamen zu dem Schluß, daß Shea sich getäuscht haben mußte.
Sie marschierten die ganze Nacht, bemüht, sich östlich zu halten, auch wenn sie nicht viel sehen konnten. Der Blick auf die Sterne war von einem wirren Geflecht dicker Äste und starker Belaubung verdeckt. Als sie endlich anhielten, hatten sie den Duln-Wald noch immer nicht hinter sich und wussten nicht, wie weit sie noch laufen mußten, bis sie die Grenzen von Leah erreichten. Shea war erleichtert darüber, wenigstens die Sonne unmittelbar vor ihnen aufgehen zu sehen; sie waren also nicht von der Richtung abgekommen. Zwischen hohen Ulmen fanden sie eine kleine Lichtung, auf drei Seiten von dichtem Gebüsch begrenzt. Sie warfen ihre Traglasten ab und fielen nach wenigen Sekunden in einen tiefen Schlaf, von ihren Anstrengungen völlig erschöpft. Es war später Nachmittag, als sie wieder erwachten und ihre Vorbereitungen
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