Shannara I
Bruder und kroch den buschbewachsenen Hang hinauf, um einen Überblick zu gewinnen. Sie lagen bewegungslos im Gesträuch und starrten in die Düsternis des frühen Morgens. Daß irgendwo etwas lauerte, stand für sie außer Frage. Sie kannten das Gefühl - vom Fenster ihrer Schlafstube her. Nun warteten sie, wagten kaum zu atmen und fragten sich, ob das Wesen sie endlich entdeckt haben mochte.
Dann erhob sich mit einem plötzlichen Fauchen von Wind und Laub die schwarze Erscheinung des Totenschädelträgers aus den Büschen weitab links von ihnen. Die undeutliche Masse schien aufzusteigen und schwer über der Erde zu hängen, als vermöge sie sich nicht zu bewegen. Die Brüder preßten sich an den Boden und warteten darauf, daß das Wesen sich bewegen möge. Wie es sie so weit hatte verfolgen können, war ihnen ein Rätsel. Vielleicht war es auch nur blinder Zufall, der sie hier alle wieder zusammengeführt hatte, aber es blieb dabei, daß die Talbewohner Gejagte waren und um ihr Leben fürchten mußten. Das Wesen hing noch eine Zeit regungslos am Himmel, dann griffen die großen Schwingen langsam aus, und es näherte sich ihrem Versteck. Flick ächzte halblaut und versuchte sich in den Boden zu graben, das Gesicht aschfahl, die Hand um Sheas schlanken Arm geklammert. Aber bevor das Wesen sie erreichte, sank es in eine kleine Baumgruppe hinab, noch mehrere hundert Meter entfernt, und blieb für einige Zeit unsichtbar. Die Brüder starrten verzweifelt in die Düsternis.
»Jetzt«, zischte Shea. »Das Ding kann uns nicht sehen. Lauf zu der Gebüschreihe dort!«
Flick ließ sich das nicht zweimal sagen. Sobald das Ungeheuer das Wäldchen abgesucht hatte, würde es auf ihr Versteck zukommen. Er hetzte durch das nasse Gras und schaute immer wieder um, aus Furcht, das Wesen könne plötzlich aus dem Hain auftauchen und ihn entdecken. Hinter ihm lief Shea tief gebückt durch die Wiese. Sie erreichten das Gebüsch - und dann fiel Shea ein, daß sie ihre Sachen vergessen hatten - die Bündel, die jetzt am Boden des kleinen Tales lagen. Das Wesen konnte sie nicht übersehen, und dann würde die Jagd vorbei sein, da kein Zweifel mehr darüber bestand, in welche Richtung sich die Gejagten gewandt hatten. Sheas Mut sank. Wie konnten sie nur so kurzsichtig gewesen sein? Er packte verzweifelt Flicks Schulter, aber sein Bruder hatte schon begriffen und sank resigniert auf den Boden. Shea wußte, daß er zurückgehen mußte, selbst auf die Gefahr hin, gesehen zu werden. Aber als er sich in Bewegung setzen wollte, tauchte die schwarze Erscheinung wieder auf und hing regungslos am heller werdenden Himmel. Die Chance war vertan.
Wieder rettete sie das Licht. Als der Totenschädelträger lautlos über die Landschaft schwebte, stieg die goldene Sonnenscheibe über die Hügelbäume im Osten herauf und sandte die ersten Vorboten des nahenden Tages über Himmel und Land. Die Sonnenstrahlen streiften das Nachtwesen, und als es sah, daß seine Zeit um war, stieg es plötzlich in den Himmel hinauf und zog weite Kreise über der Landschaft. Es stieß seinen Schrei aus, so daß für einen Augenblick alles zu erstarren schien, dann flog es schnell nach Norden davon. Augenblicke später war es verschwunden, und zwei dankbare, fassungslose Talbewohner umarmten einander glücklich.
Kapitel 5
Am nächsten Tag hatten die Brüder die Hochlandstadt von Leah erreicht. Die Stein- und Mörtelmauern um die Stadt waren eine willkommene Zuflucht für die erschöpften Wanderer, die ohne Zögern durch das Westtor in die schmalen Straßen der Stadt traten. Es war zu einer geschäftigen Stunde, in der die Leute sich zwischen den kleinen Läden und Märkten an der Zugangsstraße drängten, die zu Menions Zuhause führte, einem stattlichen alten Gebäude, verdeckt von Hecken und Bäumen am Rande gepflegter Rasenflächen und duftender Gärten. Leah kam den Männern aus Shady Vale wie eine große Metropole vor, wiewohl sie vergleichsweise klein war, wenn man an die Größe der Städte im tiefen Süden oder selbst der Grenzstadt Tyrsis dachte. Leah war eine vom Rest der Welt abgesonderte Stadt, und Reisende kamen nicht allzu häufig durch ihre Tore. Sie war selbstgenügsam und sorgte nur für die Bedürfnisse ihrer Bewohner. Die Monarchie, die über das Land herrschte, war die älteste im Südland. Sie war das einzige Gesetz, das die Bewohner kannten - vielleicht das einzige, das sie brauchten, auch wenn Shea davon nie ganz zu überzeugen gewesen war.
Shea
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