Shannara I
regungslos da und atmeten schwer in die Stille hinein. Dann raffte Shea sich mühsam auf und schaute ins Tal hinunter. Weder auf dem Talboden noch in der Luft regte sich etwas; die Brüder schienen es geschafft zu haben, hierher zu gelangen, ohne entdeckt zu werden. Aber das Tal hatten sie noch nicht hinter sich. Shea zerrte Flick hoch, zog ihn mit durch die Bäume, den steilen Hang hinauf. Flick ließ es stumm mit sich geschehen, nur noch bestrebt, seine nachlassende Willenskraft darauf zu konzentrieren, einen Fuß vor den anderen zu setzen.
Der Osthang war schroff und gefährlich, seine Oberfläche ein Gewirr von Felsblöcken, umgestürzten Bäumen und stachligen Büschen, das den Aufstieg unendlich mühsam werden ließ. Shea überwand die Hindernisse, so schnell er konnte, während Flick seinen Fußstapfen folgte. Die Sterne am Himmel verschwanden ganz. Vor Shea und Flick, über dem Talrand, sandte die Sonne ihr erstes schwaches Leuchten in orangeroten und gelben Streifen in den Himmel, an dem die verschwommenen Konturen des fernen Horizonts sich abzeichneten. Shea begann nun auch zu erlahmen, und sein Atem ging in kurzen Stößen, während er voranstolperte. Flick zwang sich dazu weiterzukriechen, mit zerkratzten und abgeschürften Händen und Unterarmen, die ihre Verletzungen scharf randigen Sträuchern und Felsblöcken verdankten. Der Aufstieg schien endlos zu sein. Sie bewegten sich im Schneckentempo über das rauhe Gelände, und allein die Angst, entdeckt zu werden, trieb sie weiter.
Als sie drei Viertel des steilen Weges hinter sich hatten, stieß Flick einen Warnschrei aus und stürzte keuchend auf den Boden. Shea fuhr angstvoll herum und sah augenblicklich das riesige schwarze Objekt, das sich langsam aus dem nun schon fernen Tal erhob - wie ein gigantischer Vogel in die Morgendüsternis aufsteigend, in weiten Spiralen. Shea warf sich zu Boden, bedeutete seinem Bruder, in Deckung zu kriechen, und betete darum, daß das Wesen sie nicht gesehen haben möge. Regungslos lagen sie am Berghang, während der unheimliche Träger des Totenschädels höherstieg, Kreise ziehend, näher kommend. Das Wesen stieß plötzlich einen gräßlichen Schrei aus und nahm den Brüdern die letzte schwache Hoffnung auf ein Entkommen. Sie waren erfaßt von demselben unerklärlichen Entsetzen, das Flick gelähmt hatte, als er mit Allanon zusammen im Buschwerk unter dem riesigen schwarzen Schatten gekauert war. Nur gab es diesmal kein Versteck. Ihre Furcht schwoll rasch zur beginnenden Hysterie an, als das Wesen direkt auf sie zuschwebte, und in diesem kurzen Augenblick waren sie gewiß, sterben zu müssen. Im nächsten Moment aber beschrieb der schwarze Jäger einen weiten Bogen und glitt nach Norden davon, bis er ihren Blicken entschwunden war.
Die Brüder lagen da wie erstarrt, endlose Minuten in den steinigen Boden mit seinem dürftigen Bewuchs gekrallt. Sie befürchteten, das Wesen könne umkehren und sie töten, sobald sie sich bewegten. Aber als die grausige Furcht verebbte, standen sie schwankend auf und stiegen stumm und erschöpft weiter den Berg hinauf. Der Weg zum Grat war nur noch kurz, dann eilten sie über eine offene Wiese zum Duln-Wald, der Schutz bot. Binnen Minuten waren sie zwischen den Bäumen untergetaucht, und die aufgehende Morgensonne sah das Land bis hinunter zum Talboden still und leer.
Die jungen Männer verlangsamten den Schritt, und Flick, der immer noch nicht wußte, wohin sie gingen, rief Shea zu: »Warum diesen Weg?« Seine Stimme klang nach dem langen Schweigen seltsam in seinen Ohren. »Wohin gehen wir eigentlich?«
»Zum Anar - wie Allanon es uns gesagt hat. Die beste Aussicht haben wir in der Richtung, wo uns die Schädelträger am wenigsten erwarten. Wir gehen also nach Osten zu den „Schwarzen Eichen“ und von dort nach Norden, immer in der Hoffnung, daß wir unterwegs Hilfe finden.«
»Warte!« sagte Flick scharf. »Du meinst, wir gehen nach Osten durch Leah und hoffen, daß Menion uns helfen kann. Hast du den Verstand ganz verloren? Warum ergeben wir uns nicht einfach diesem Wesen? Dann ginge es wenigstens schneller!«
Shea hob die Hände und wandte sich seinem Bruder zu.
»Wir haben keine andere Wahl. Menion Leah ist der einzige, an den wir uns wenden können. Er kennt das Land außerhalb von Leah. Vielleicht weiß er einen Weg durch die Schwarzen Eichen.«
»O gewiß«, sagte Flick düster. »Hast du vergessen, daß wir uns beim letztenmal dort verirrt haben? Ich traue ihm nicht
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