Shannara II
und risse ihn in die Finsternis. So plötzlich geschah es, daß der verblüffte Wil den Eindruck hatte, der Elf hätte sich einfach in Luft aufgelöst. Doch da gellte der Schrei durch die Stille, kurz und erstickt. Dann stürzte Kians Körper aus den Bäumen, fiel wie ein abgebrochener Ast durch den Regen und schlug leblos auf den durchweichten Boden auf.
»Lauft!« schrie Dilph und hetzte in den Wald.
Wil war einen schrecklichen Augenblick lang wie gelähmt. Kian war tot. Mit ziemlicher Sicherheit war die gesamte Besatzung des Elfen-Stützpunktes im Drey-Wald ebenfalls tot. Seine Gedanken überschlugen sich in heller Panik - nur einer blieb beherrschend: Wenn er nicht rechtzeitig zu Amberle kam, dann würde auch sie getötet werden. Da lief er los, jagte wie ein gehetztes Reh durch das Dickicht des Waldes, sprang über Büsche und Gestrüpp, nur ein Ziel vor Augen, das Schiff zu erreichen und das arglose Elfenmädchen zu warnen, dessen Leben er beschützen sollte. Irgendwo zu seiner Rechten konnte er Dilph hören, der floh wie er, und weiter zurück Rin. Er wußte instinktiv, daß etwas sie alle verfolgte. Er konnte es nicht sehen und konnte es nicht hören, aber er spürte es, schrecklich und schwarz und erbarmungslos. Regen peitschte ihm ins Gesicht und rann ihm in die Augen, so daß er kaum noch etwas sah, während er krampfhaft versuchte, umgestürzten Baumstämmen und Dornengestrüpp auszuweichen. Einmal stürzte er, raffte sich jedoch gleich wieder auf, hastete weiter, ohne nachzulassen, nur das eine im Sinn, den Abstand zwischen sich und dem unsichtbaren Verfolger zu vergrößern. Die Brust wollte ihm schier bersten vor Anstrengung, und seine Beine schmerzten. Selten in seinem Leben hatte er Angst gehabt, jetzt aber trieb ihn Todesangst an.
Rins Schrei zerriß gellend die Stille. Das Ungeheuer hatte ihn eingeholt. Wil biß die Zähne zusammen. Vielleicht waren die Elfen am Schiff jetzt gewarnt. Vielleicht würden sie gleich ablegen, so daß wenigstens Amberle entkommen würde, selbst wenn er wie Rin eingeholt werden sollte.
Äste und Zweige hielten ihn fest wie zupackende Hände. Er suchte Dilph, doch der Elf war nicht mehr zu sehen. Allein rannte er weiter.
Rasch senkte sich der Abend über den Drey-Wald, und der graue Nachmittag wurde zur Nacht. Der Nieselregen, der den ganzen Tag in stetiger Monotonie niedergegangen war, wurde plötzlich zum strömenden Guß, und der Wind begann in stürmischen Böen zu tosen, als eine neue Zusammenballung schwarzer Gewitterwolken sich über den Himmel schob. Die Elfen-Jäger und das Mädchen, das ihrer Obhut anvertraut war, zogen die wärmenden Umhänge fester um sich.
Dann drang aus den Tiefen des Waldes der Schrei, hoch und dünn, so flüchtig, daß er im Toben des Windes beinahe untergegangen wäre. Einen Moment lang standen alle wie versteinert und starrten auf die finstere Mauer der Bäume. Dann brüllte Crispin mit scharfer Stimme Befehle, schickte Amberle aufs Schiff, in die Verborgenheit der kleinen Kabine, rief Ped und Cormac zu sich. Mit gezogenen Waffen wichen die drei Jäger bis zum Ende des Stegs zurück, während sie mit durchdringenden Blicken das von Nebeln durchzogene Gewirr des Waldes absuchten. Katsin, der aufs Schiff zurückbeordert worden war, machte die Taue los und wartete nur auf den Befehl abzulegen.
Amberle hockte zusammengekauert in der Dunkelheit der Kabine und lauschte dem Prasseln des Regens und dem Heulen des Windes. Dann sprang sie auf, schlug die Klappe vor der Kabinenöffnung zur Seite und trat wieder an Deck hinaus. Gleichgültig, was für Folgen es hatte, sie konnte sich nicht in dieser Kabine verkriechen, ohne zu wissen, was um sie herum vorging. An den aufgetürmten Kisten entlang tastete sie sich zum Steg. Katsin, die Schiffstaue fest in den Händen, aber bereit, sie jederzeit loszulassen, warf ihr einen strengen Blick zu, doch Amberle achtete nicht auf ihn. Am Ufer, mehrere Schritte vom Steg entfernt, standen mit gezogenen Waffen die übrigen Jäger. Das Metall ihrer Schwertklingen schimmerte matt im Regen.
Plötzlich brach keine fünfzig Schritte flußabwärts eine keuchende Gestalt aus dem Wald hervor, stolperte und stürzte der Länge nach hin. Als die Gestalt sich wieder aufgerappelt hatte, sahen sie, daß es Dilph war.
»Weg!« schrie er warnend. »Schnell, weg hier!«
Er rannte zu ihnen hin, stürzte wieder.
Doch Crispin war schon in Aktion. Mit einem gebieterischen Wort sandte er Ped und Cormac aufs Schiff,
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