Shannara II
- weite Wälder und sanft gewellte Hügel. Nur einmal zwängten mehrere Stunden lang schroffe Felswände den Singenden Fluß ein, auch sie verhangen im Nebel und Regen, der alles in ein sanftes graues Licht tauchte. Der Fluß, der von den Regenfällen angeschwollen war und auf dessen Wasser abgebrochene Äste und viel anderes Strandgut dahintrieben, schüttelte und rüttelte das kleine Schiff gründlich durch.
Schlaf zu finden war unmöglich. Sie mußten sich mit kurzen Ruhepausen begnügen, aus denen sie unausgeschlafen erwachten. Meist brauchten sie ein paar Augenblicke, ehe sie sich erinnerten, wo sie waren. Muskeln und Gelenke wurden steif und begannen zu schmerzen. Das ständige Schlingern des Schiffes raubte ihnen den Appetit.
Endlos schien die Zeit sich hinzuziehen. Meist waren sie allein miteinander. Nur ab und zu kamen Crispin oder einer der anderen Elfen herein, um sich etwas aufzuwärmen. Wann die Elfen aßen und schliefen, war ein Rätsel; es hatte den Anschein, als seien sie dauernd mit ihrer Arbeit an Bord und mit der Überwachung ihrer beiden Passagiere beschäftigt. Immer stand mindestens ein Elf vor dem Eingang zu der verborgenen kleinen Kabine Wache. Mit der Zeit wurden Wil und Amberle die Namen geläufig, weil sie sie immer wieder im Gespräch hörten. Einige Namen konnten sie auch mit Gesichtern in Verbindung bringen, wie im Fall von Dilph, dem kleinen dunklen Elf mit den verschmitzten Augen und den kräftigen Händen, oder wie bei Katsin, dem grobknochigen Burschen, der kaum je ein Wort sprach. Das waren die, die ab und an in die Kabine kamen. Andere, wie Kian, Rin, Cormac und Ped, blieben gesichtslose Stimmen.
Crispin bekamen sie häufiger als die anderen zu Gesicht. Er schaute nämlich regelmäßig herein, um sich nach ihrem Befinden zu erkundigen und sie über den Fortgang der Reise zu unterrichten. Doch er blieb nie länger als ein paar Minuten, hatte es stets eilig, zu den Leuten zurückzukehren, die seinem Oberbefehl anvertraut waren.
Die Gespräche, die sich mit der Zeit zwischen ihnen entspannen, waren es schließlich, die das Eingesperrtsein, die Monotonie und die Einsamkeit erträglich machten. Sie ergaben sich, dachte Wil, aus einem beiderseitigen Bedürfnis heraus, wenn sie auch mit aller Vorsicht und einiger Verlegenheit begonnen wurden, da sie sich beide noch mit einem starken Gefühl von Unsicherheit gegenüberstanden. Wie es kam, daß Amberle sich aus dem Schneckenhaus herauswagte, in das sie sich seit Anfang ihrer Reise in Havenstead zurückgezogen hatte, wußte Wil nicht zu sagen; doch ihre Haltung schien sich auf erstaunliche Weise zu verändern. Anfangs hatte sie sich nur widerstrebend auf einen Austausch mit Wil eingelassen; jetzt hingegen schien sie ganz versessen darauf, sich mit ihm zu unterhalten, wollte alles über seine Kindheit in Shady Vale hören, als seine Eltern noch am Leben gewesen waren, und über seine späteren Jahre, als er mit seinem Großvater und seinem Großonkel Flick zusammengelebt hatte. Sie wollte wissen, wie es ihm bei den Stors ergangen war, und wie er sich seine Arbeit vorstellte, wenn er Storlock wieder den Rücken kehrte, um als Heilkundiger ins Südland heimzukehren. Ihr Interesse an ihm war echt und tiefgehend, und es entsprang einem inneren Bedürfnis.
Aber nicht nur um ihn drehten sich ihre Gespräche. Sie sprachen auch von ihr, von ihrer Kindheit als Enkelin des Königs der Elfen, von ihrer Jugend als einziges Kind des verstorbenen Sohnes von Eventine. Sie erzählte Wil viel über die Lebensweise der Elfen und ihren unerschütterlichen Glauben, daß man dem Land, das einen genährt hatte, etwas von seinem eigenen Leben zurückgeben müsse. Sie tauschten ihre Vorstellungen darüber aus, wie die verschiedenen Rassen den Bedürfnissen der anderen und den Bedürfnissen der Erde besser gerecht werden könnten. Sie plädierten beide für gegenseitiges Verständnis, Mitgefühl und Liebe, und entdeckten verwundert, daß sie in vielem gleicher Ansicht waren.
Behutsam, Schritt um Schritt, knüpften sie das Band zwischen sich. Absichtlich vermieden sie es, auch nur mit einem Wort den Auftrag zu erwähnen, der ihnen aufgegeben war, und sie sprachen auch nicht von dem schrecklichen Unglück, das das Elfenvolk bedrohte, und von ihrer eigenen Verantwortung dafür, dieses Unglück zu verhindern. Auch des uralten, geheimnisvollen Baumes mit Namen Ellcrys gedachten sie mit keinem Wort. Dazu blieb später noch Zeit; diese Wartezeit konnte nutzbringender
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