Shannara II
Dunkelheit umfangen; das Licht der Sterne und des Mondes durchdrang nicht die Finsternis der Bäume. Ihr kindliches Gesicht wurde hart in eiserner Entschlossenheit, und vorsichtig tastete sie sich weiter. So leise wie es ihr möglich war, bewegte sie sich, und nur das feine Scharren ihrer Stiefel auf Erde und Fels war in der Stille zu vernehmen.
Endlich hatte sie den Grund der Senke erreicht. Sie machte eine Pause und hockte sich unter einem Baum nieder, um vorsichtig ihren schmerzenden Knöchel zu massieren. Er war stark angeschwollen und hätte dringend der Schonung bedurft. Ihr Gesicht war schweißnaß, als sie aufwärts in die Düsternis spähte und lauschte. Sie hörte nichts. Dennoch, sagte sie sich. Was auch immer für ein Wesen das sein mochte, das ihr nach dem Leben trachtete, es war noch immer dort oben und suchte nach ihr. Sie mußte sich tiefer in die Senke hineinwagen. Ihre Augen hatten sich schon an die Finsternis gewöhnt, vage konnte sie die Umrisse von Bäumen ausmachen. Es war Zeit weiterzugehen.
Sie rappelte sich mühsam auf und lief hinkend in die Dunkelheit hinein, bemüht, den verletzten Knöchel möglichst wenig zu belasten. Von Baum zu Baum tastete sie sich, und unter jedem rastete sie einen Augenblick, um ängstlich in das tiefe Schweigen hinein zu lauschen. Die Schmerzen wurden heftiger, steigerten sich zu einem unablässigen Pochen, das mit jedem Schritt stärker zu werden schien. Die Muskeln ihres gesunden Beines fingen an, sich zu verkrampfen; schon begann sie zu ermüden.
Schließlich konnte sie nicht mehr weiter. Keuchend ließ sie sich an einem Gebüsch zur Erde nieder und streckte sich auf der kühlenden Erde aus. Sorgsam sammelte sie sich und versuchte nochmals, den Quell der Warnung zu entdecken. Einen Moment lang geschah gar nichts. Dann durchflutete sie wieder diese schreckliche, beißende Kälte. Ihr Atem stockte. Das Wesen, das ihr ans Leben wollte, befand sich in der Senke.
Wieder raffte sie sich auf und floh weiter, hinkte blind durch die schweigende Finsternis. Irgendwann einmal schoß ihr der Gedanke durch den Kopf, daß sie vielleicht im Kreis lief, doch sie verdrängte diese Vorstellung. Immer wieder stolperte und fiel sie. Mehrmals stürzte sie so heftig, daß sie nahe daran war, das Bewußtsein zu verlieren. Jedesmal richtete sie sich nach Luft schnappend wieder auf, stand auf, zwang sich weiterzulaufen. Jegliches Zeitgefühl ging ihr verloren. Die Stille und die Schwärze um sie herum schienen sich immer mehr zu vertiefen.
Schließlich konnte sie einfach nicht mehr. Rasselnd klang ihr ihr eigener Atem in den Ohren, als sie auf die Knie fiel. Weinend kroch sie weiter. Fels und dürres Holz zerschrammten ihr die Hände und die Knie, während sie sich durch das Unterholz schlug. Aber sie gab nicht auf. Niemals, schwor sie sich, würde sie aufgeben. Sie richtete ihre Gedanken auf Wil. Sie sah den Ausdruck, der über sein Gesicht gehuscht war, als sie ihm gesagt hatte, daß er ihr am Herzen lag. Sie hätte es nicht sagen sollen, das wußte sie. Aber es hatte sie in diesem Moment so heftig gedrängt, es ihm zu sagen. Es erstaunte sie, daß es ihr ein solches Bedürfnis gewesen war, es ihm zu sagen. Und die staunende Verwunderung in seinen Augen…
Weinend brach sie zusammen. Wil! Sie flüsterte seinen Namen wie eine Zauberformel, um das Böse abzuwehren, das in der Finsternis auf sie lauerte. Dann richtete sie sich wieder auf und kroch weiter. Ihre Gedanken gerieten ins Wandern, und ihr war, als spüre sie andere Wesen in der Dunkelheit rundum, die mit ihr durch die Nacht wanderten. Kleine Geschöpfe, dachte sie. Aber das Mörderwesen, wo steckte es? Wie nahe war es ihr?
Sie kroch und kroch immer weiter, bis ihre Kräfte völlig erschöpft waren. Da streckte sie sich auf dem Waldboden aus. Sie war zu Tode erschöpft. Sie hatte keine Reserven mehr. Sie schloß die Augen und wartete auf den Tod. Einen Augenblick später war sie eingeschlafen.
Sie schlief noch immer, als die knorrigen hölzernen Finger von einem Dutzend rauher Hände sie hochhoben und forttrugen.
Kapitel 41
Wil und Eretria ritten den felsigen Pfad hinunter, der vom Heulekamm hinabführte, und der heulende Wind ritt mit ihnen. Tief über die Hälse ihrer Pferde geneigt flogen sie in die Schwärze der unteren Wälder hinunter, und die seidenen Gewänder der Fahrensleute flatterten um ihre Körper, während sie angestrengt in die Düsternis spähten. Rasch schlossen sich die Bäume wieder um sie, und der
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