Shannara II
Nachthimmel verschwand. Ohne an ihre Sicherheit zu denken, jagten sie weiter, im Vertrauen auf die Zuverlässigkeit ihrer Pferde und auf das Glück.
Sie hüllten sich beide in tiefes Schweigen. In dem Augenblick, als Wil klar wurde, daß der Raffer so lange suchen würde, bis er den Pfad fand, den er und Amberle eingeschlagen hatten, nachdem sie sich von den Fahrensleuten getrennt hatten, kannte er nur noch einen einzigen Gedanken - daß am Ende dieses Pfades Amberle wartete, allein, verletzt, schutzlos. Wenn er sie nicht vor dem Raffer erreichte, würde sie sterben, und das wäre dann seine Schuld, weil es seine Entscheidung gewesen war, sie allein zurückzulassen. Bilder der zerfetzten und verrenkten Körper, die sie auf dem Pfad gefunden hatten, gingen ihm durch den Kopf. In diesem Augenblick vergaß er alles, außer der Notwendigkeit, rechtzeitig zu Amberle zu gelangen. Mit einem Sprung war er auf seinem Pferd, zog es herum und galoppierte davon.
Eretria setzte ihm augenblicklich nach. Sie hätte sich auch anders entscheiden können. Jetzt, da Cephelo tot war, brauchte sie den Schutz des Talbewohners nicht mehr. Sie gehörte niemandem mehr; sie war endlich frei und ihre eigene Herrin. Sie hätte ihr Pferd wenden und auf dem schnellsten Weg aus dem Tal hinaus in Sicherheit reiten können, fort von dem grausamen Mörderwesen, das Cephelo und die anderen getötet hatte. Doch Eretria zog diese Möglichkeit nicht einmal in Betracht. Sie dachte nur an Wil, der da ohne sie davonglitt, sie wieder einmal zurückließ. Stolz, Eigensinn und die merkwürdige Zuneigung, die sie für Wil empfand, flammten in ihr auf. Nicht noch einmal durfte er ihr das antun. Ohne zu zögern, hetzte sie ihm nach.
So begann ihre wilde Jagd zur Rettung Amberles. Wie ein Besessener trieb Wil Ohmsford sein Pferd an, tauchte in Finsternis und Nebel, als er vom Heulekamm herab in den dichten Wald hineinstürmte. Kaum konnte er die dunklen Formen der Bäume am Wegrand ausmachen, an denen er vorüberflog. Doch er zügelte sein Pferd nicht; er konnte es nicht. Er hörte den Hufschlag und das Schnauben eines zweiten Pferdes, das ihm nachsetzte, und erkannte, daß Eretria ihm gefolgt war. Er stieß einen kurzen Fluch aus; hatte er nicht schon genug Sorgen? Doch er hatte jetzt keine Zeit, sich mit dem Mädchen zu befassen. Er vertrieb sie aus seinen Gedanken und konzentrierte seine Anstrengungen darauf, die Abzweigung zu finden, die nach Süden führte.
Und dennoch ritt er dann an ihr vorbei. Hätte Eretria ihn nicht mit einem lauten Ruf aufmerksam gemacht, wäre er vielleicht bis zu den Bergen in östlicher Richtung weitergeritten. Verdutzt riß er sein Pferd herum und jagte wieder zurück. Jetzt aber hatte Eretria die Führung übernommen. Besser vertraut mit dem Pfad als er, galoppierte sie nun voraus und rief ihm zu, ihr zu folgen. Neuerlich überrascht, hetzte er ihr nach.
Es war ein anstrengender Gewaltritt. Die Finsternis war so dicht, daß selbst die scharfen Augen Eretrias kaum den Pfad ausmachen konnten, der sich in endlosen Windungen durch den Wald schlängelte. Mehrmals wären die Pferde beinahe gestürzt, konnten gerade in letzter Sekunde noch einem Graben oder einem umgestürzten Baumstamm ausweichen, der quer über dem schmalen Weg lag. Doch diese Pferde, von den besten Reitern der Vier Länder abgerichtet, reagierten mit einer Schnelligkeit und Wendigkeit, wie Wil sie noch nie erlebt hatte.
Dann waren sie plötzlich auf dem Pfad, auf dem Amberle und Wil nach Süden gewandert waren, zur Senke, und Äste und Ranken schlugen ihnen scharf in die Gesichter, während aus den Pfützen und Furchen schlammiges Wasser zu ihnen heraufspritzte. Ohne das Tempo zu verlangsamen, wandten sie sich nach Süden.
Nach einem endlos langen Ritt, wie es Wil schien, erreichten sie den Rand der Senke. Schwarz lag sie zu ihren Füßen wie ein bodenloses Loch in der Erde. Mit harter Hand zügelten sie ihre Pferde und sprangen aus den Sätteln. Tiefe Stille hing über der Senke. Wil zögerte nur eine Sekunde, dann machte er sich auf die Suche nach den Büschen, in deren Schutz er Amberle zurückgelassen hatte. Er fand sie beinahe augenblicklich und brach durch Äste und Laub in ihre Mitte. Aber dort war niemand. Panik drohte ihn zu übermannen. Verzweifelt suchte er nach irgendeinem Zeichen, das ihm verraten hätte, was dem Elfenmädchen zugestoßen war; doch er fand nichts. Seine Angst wurde noch größer. Wo war sie? Er stand auf und sprang wieder aus dem
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