Shannara II
sein Denken durfte jetzt nur der Gegenwart gelten.
Langsam ging er um den steinernen Sockel der Burg herum und musterte aufmerksam die tiefen Spalten und zackigen Felsvorsprünge. Schließlich blieb er stehen, und seine Hände streckten sich dem Fels entgegen, ihn zu berühren. Ein Steinquader schwang langsam nach innen, und dahinter öffnete sich ein geheimer Gang. Der Druide glitt rasch durch die schmale Lücke, und der Stein verschloß sich wieder hinter ihm.
Drinnen herrschte schwarze Finsternis. Allanons Hände glitten suchend an der Mauer entlang, bis sie auf ein Bündel Fackeln stießen, die in eisernen, im Fels verankerten Haltern steckten. Nachdem er eine herausgenommen hatte, arbeitete er so lange mit dem Feuerstein, den er in einem Beutel an seinem Gürtel trug, bis ein Funke das Pech am Kopf der Fackel entzündete. Mit der brennenden Fackel in der Hand wartete er noch eine Weile, damit seine Augen sich auf den schwachen Fackelschein einstellen konnten. Ein langer Gang erstreckte sich vor ihm, und in der Ferne verloren sich in den Felsboden gehauene Stufen in der Finsternis. Er folgte dem Gang und stieg aufwärts. Ein Geruch nach Staub und Moder wehte ihm ins Gesicht. Es war kalt in den finsteren Steingewölben, und der Druide zog seinen schweren Umhang enger um sich. Hunderte von Stufen schritten seine Füße hinunter, und immer weiter wand sich der Gang durch die Finsternis.
Er endete schließlich vor einer schweren Holztür. Allanon blieb stehen und neigte sich nahe zur Tür, um die schweren eisernen Beschläge zu prüfen. Dann berührte er mit den Fingern mehrere glänzende Nagelköpfe, und die Flügel der Tür schwangen auf.
Er trat über die Schwelle und befand sich in der Feuerkammer der Burg, einem runden, höhlenartigen Raum, in dem ein schmaler Fußsteg rund um eine tiefe, dunkle Grube herumführte. Ein niedriges Eisengitter begrenzte den Rand der Grube. In die Mauer der Feuerkammer waren mehrere massive Holztüren mit eisernen Schlössern und Beschlägen eingelassen, alle verschlossen und verriegelt.
Der Druide trat zu dem niedrigen Gitter und spähte im Schein der Fackel in die Grube hinunter. Das schwache Licht des Feuers tanzte flackernd über geschwärzte Mauern, die mit Asche und Ruß verkrustet waren. Die Feuerkammer war jetzt kalt; die Vorrichtung, die einst die Hitze zu den Türmen und Sälen der Burg hinaufgepumpt hatte, ruhte. Aber tief unten, jenseits des blassen Fackelscheins, unter schweren eisernen Zugklappen, brannten die natürlichen Feuer der Erde. Selbst jetzt war das Zucken und Knistern der Flammen wahrnehmbar.
Er erinnerte sich eines anderen Tages. Vor mehr als fünfzig Jahren war er aus dem Zwergendorf Culhaven nach Paranor gekommen. Freunde hatten ihn begleitet - die Brüder Ohmsford, Shea und Flick; Balinor Buckhanna, der Prinz von Callahorn; Menion, der Prinz von Leah; Durin und Dayel Elessedil; und der tapfere Zwerg Höndel. Sie waren hierhergekommen, um das legendäre Schwert von Shannara zu suchen, denn der Dämonen-Lord war in die vier Länder zurückgekehrt, und nur die Macht des Schwertes konnte ihn besiegen. Allanon also war mit seinen Begleitern auf die Burg zurückgekehrt, und beinahe hätte er sie nie wieder verlassen. In eben diesem Raum hatte er auf Tod und Leben mit einem der Schädelträger gerungen. Der Dämonen-Lord hatte gewußt, daß er kommen würde. Und hatte ihm eine Falle gestellt.
Mit einem Ruck hob er den Kopf und lauschte in das tiefe Schweigen hinein. Eine Falle. Das Wort beunruhigte ihn; es weckte einen Instinkt, einen sechsten Sinn der Warnung. Etwas war nicht so, wie es sein sollte. Etwas…
Unschlüssig verharrte er einen Moment lang. Dann wurde er wieder ruhig. Das war töricht. Es war die Erinnerung, die ihn beunruhigte, weiter nichts.
Die Fackel hoch erhoben, schritt er den Steg entlang, bis er eine enge Wendeltreppe erreichte, die nach oben führte. Ohne einen Blick zurück schritt er eilig die Stufen hinauf und trat in die oberen Gemächer der Druidenfestung.
Alles war so, wie es vor fünfzig Jahren gewesen war. Sternenlicht fiel in zarten silbernen Streifen durch die hohen Fenster und strich über die hölzernen Paneele und schimmernden Balken, welche die hohe gewölbte Decke des Korridors trugen. Gemälde und Wandteppiche, deren satte Farben im Abendlicht zu sanften Grau- und tiefen Blautönen gedämpft wurden, schmückten den breiten Gang. Standbilder aus Stein und Eisen wachten stumm und unbewegt vor schweren Türen mit
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