Shannara III
Es war ein Mensch. Nein, kein Mensch, verbesserte er rasch - es war ein Gnom.
Er zog sich ein paar Schritte zurück. Nun, ob mit oder ohne Gnom, er mußte ins Haus. Und wenn einer da war, dann waren es vermutlich noch mehr, die warteten und beobachteten - aber ohne zu wissen, wann oder ob er zurückkäme. Schweiß floß ihm den Rücken hinab, seine Kehle wurde trocken. Die Zeit zerrann ihm zwischen den Fingern. Er mußte aus dem Tal verschwinden. Aber er konnte die Elfensteine nicht zurücklassen.
Es gab keine andere Lösung, als das Wunschlied zu benutzen.
Er benötigte einen Augenblick, seine Stimme auf die entsprechende Höhe einzustellen, als er das Summen der Stechmücken rund um sich her nachahmte, die noch in der Wärme des Frühherbstes am Leben geblieben waren, bis die winterliche Kälte sie würde erfrieren lassen. Dann robbte er von den Kiefern fort durch den sich lichtenden Wald. Er hatte diesen Trick ein- bis zweimal zuvor angewendet, doch niemals unter Bedingungen, die es so unbedingt notwendig gemacht hätten. Er bewegte sich ruhig und ließ sich durch seine Stimme eins werden mit dem nächtlichen Wald, wohlwissend, daß er für die Augen, die nach ihm Ausschau hielten, unsichtbar wäre, wenn er es richtig machte. Das Haus rückte beständig näher, während er sich seinen Weg dorthin bahnte. Wieder sah er den Gnomen, der in den Bäumen hinter dem dunklen Haus Wache hielt. Dann bemerkte er plötzlich einen zweiten, ein Stück zu seiner Rechten neben den hohen Sträuchern vor dem Haus, dann noch einen jenseits der Straße im Schierling. Keiner schaute in seine Richtung. Er wäre gern gelaufen, ja so schnell wie der Nachtwind gerannt, um in die schützende Dunkelheit des Hauses zu gelangen, doch er ging ruhigen Schritts weiter und summte unablässig und leise vor sich hin. Wenn mich bloß keiner sieht, betete er. Wenn mich bloß keiner sieht.
Er überquerte den Rasen, indem er von Baum zu Busch huschte, und sein Blick schoß umher, um all die Gnomen ringsum zu entdecken. Die Hintertür, dachte er währenddessen - sie wäre am einfachsten zu benutzen, lag sie doch tief im Schatten hoher, blühender Sträucher, die noch voll belaubt waren…
Ein plötzlicher Ruf von irgendwo hinter dem Haus ließ ihn plötzlich furchterfüllt und unvermittelt wie versteinert stehenbleiben. Der Gnom auf der Rückseite des Ohmsford-Hauses trat zwischen den Eichen hervor, Mondschein blitzte auf seinem langen Messer. Wieder ertönte der Ruf, dann plötzliches Gelächter. Die Klinge wurde gesenkt. Der Lärm stammte von den Nachbarn ein Stück weiter die Straße hinab, die sich an dem warmen Herbstabend unterhielten und scherzten, nachdem sie ihr Abendessen beendet hatten. Schweiß tränkte Jairs Hemd, und zum erstenmal fürchtete er sich. Keine zehn Meter entfernt drehte sich der Gnom, der aus den Eichen getreten war, um und verschwand wieder zwischen den Bäumen. Jairs Stimme zitterte und festigte sich dann wieder, um ihn weiter zu verbergen. Er ging schnell weiter.
An der Tür hielt er inne, ließ das Wunschlied auf der Stelle verstummen und versuchte verzweifelt, sich zu fassen. Er durchwühlte seine Taschen, bis er schließlich den Hausschlüssel herausbeförderte, ihn ins Schloß steckte und vorsichtig umdrehte. Die Tür ging geräuschlos auf. Innerhalb eines Augenblicks stand er drinnen.
Im Dunkeln blieb er wieder stehen. Irgend etwas stimmte nicht. Er konnte es eher fühlen als beschreiben - es war eine Empfindung, die ihm kalt bis ins Mark drang. Irgend etwas stimmte nicht. Das Haus… das Haus war nicht wie sonst; es war anders… Er verhielt sich still und wartete, daß seine Sinne ihm offenbarten, was da vor ihm verborgen war. Während er so dastand, wurde er sich langsam bewußt, daß sich außer ihm noch etwas im Haus aufhielt, etwas Schreckliches, etwas so Böses, daß allein seine Gegenwart die Luft mit Angst erfüllte. Was immer es war, es schien überall gleichzeitig zu sein, ein scheußliches, schwarzes Leichentuch, das sich über das Ohmsford-Haus gelegt hatte. Etwas, flüsterte sein Denken, etwas… Ein Mordgeist.
Ihm stockte der Atem. Ein Wandler - hier, in ihrem Haus! Nun fürchtete er sich wirklich, da die Bestätigung seiner Vermutung ihm den letzten Rest Mut raubte. Jair fühlte, daß er im Dunkel des angrenzenden Raums auf ihn wartete. Er würde wissen, daß er hier war und würde sich auf ihn stürzen - und er wäre nicht in der Lage, sich zu wehren!
Einen Augenblick lang fühlte er die
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