Shannara IV
werden wollen, und ich hab’ dir erst eine aufgezeigt.«
Schweigend erreichten sie das Flußufer und verstauten die Plane am Boden des Bootes. Obwohl die Sonne gerade erst aufging, war der beginnende Tag bereits warm. Kein Lüftchen wehte über die spiegelglatte Oberfläche des Regenbogensees, und die Luft war erfüllt von dem Duft von wilden Blumen und Gras.
Coll drehte sich um. »Weißt du, ich habe nichts dagegen, daß du eine feste Meinung hast. Es ist bloß, daß du immer davon ausgehst, daß ich deine Meinung teile. Wenn es nach dir ginge, müßte ich einfach immer nachgeben. Aber das habe ich keinesfalls vor. Wenn du dich auf den Weg zum Hadeshorn und den Drachenzähnen begeben willst, dann tu’s. Aber hör auf, so zu tun, als müsse ich vor Freude über die Möglichkeit, mich dir anzuschließen, in die Luft springen.«
Par antwortete nicht sofort. Er dachte statt dessen über ihre gemeinsame Jugendzeit nach. Par war zwei Jahre älter, und obwohl er Coll körperlich unterlegen war, war er schon immer der Anführer gewesen. Schließlich besaß er die Zauberkraft, und dadurch hatte er immer eine Sonderstellung eingenommen. Coll war immer der Ausgeglichenere der beiden gewesen - nicht so leicht in Wut zu versetzen, umsichtig, besonnen und der geborene Friedensstifter in allen Streitigkeiten. Außerdem mochte ihn jeder. Er brachte seine Zeit damit zu, sich um andere zu kümmern, Wogen zu glätten und verletzten Stolz wieder aufzurichten. Par dagegen hatte für solche Dinge weder Zeit noch Geduld gehabt, er war vielmehr damit beschäftigt gewesen, neue Herausforderungen anzunehmen, neue Ideen zu entwickeln. Er verfügte über hellseherische Fähigkeiten, aber die Empfindsamkeit Colls blieb ihm versagt. Er sah die Möglichkeiten des Lebens klar voraus, aber Coll war derjenige, der um die Opfer, die das Leben forderte, wußte.
In der Vergangenheit hatte jeder oftmals für die Fehler und Sünden des anderen geradegestanden. Aber Par hatte immer die Magie, auf die er sich verlassen konnte, so daß es ihm keine große Mühe bereitet hatte, für Coll einzutreten. Für Coll war die Sache dagegen anders. Ihn hatte es oft große Mühe gekostet zu helfen. Aber Par war sein Bruder, den er liebte, und er beklagte sich nie. Wenn Par an jene Tage zurückdachte, war er manchmal beschämt darüber, wieviel er von seinem Bruder im Lauf der Zeit freiwillig angenommen hatte.
Er schob die Erinnerungen beiseite. Coll schaute ihn an und wartete auf seine Antwort. Par rutschte ungeduldig hin und her und dachte darüber nach, welche Art von Antwort angebracht war. Dann sagte er einfach: »Schon gut. Was schlägst du vor, was wir tun sollen?«
»Meine Güte, ich habe keine Ahnung, was wir tun sollen«, antwortete Coll. »Ich weiß nur, daß es viele unbeantwortete Fragen gibt, und ich glaube nicht, daß wir uns für irgend etwas entscheiden sollten, solange wir nicht wenigstens einige Antworten kennen.«
Par nickte gelassen. »Du meinst wohl, nicht vor dem neuen Mond.«
»Bis dahin sind es noch mehr als drei Wochen, wie du wohl weißt.«
Pars Augen verengten sich. »Das ist nicht so viel Zeit, wie du meinst. Wie sollen wir denn in dieser kurzen Zeit alle Fragen beantworten?«
Coll sah ihn mit großen Augen an. »Weißt du, daß du unmöglich bist?« Er drehte sich um und ging vom Ufer zu ihrem Lagerplatz zurück, wo sich immer noch Decken und Kochgeräte befanden, und fing an, sie zum Boot hinunterzutragen. Er würdigte Par keines Blickes.
Par stand schweigend da und beobachtete seinen Bruder. Er mußte daran denken, wie Coll ihn während eines Ausflugs aus den Stromschnellen des Rappahalladran gezogen und somit vor dem Ertrinken bewahrt hatte. Er war im Fluß untergegangen, und Coll war gezwungen gewesen, nach ihm zu tauchen. Weil er von Fieberanfällen geschüttelt wurde, hatte ihn Coll anschließend nach Hause getragen. Es schien, als hätte Coll sich schon immer um ihn gekümmert. Plötzlich fragte er sich, warum dem so war, da doch er derjenige war, der über Zauberkräfte verfügte.
Coll hatte das Boot beladen, und Par ging auf ihn zu. »Es tut mir leid«, sagte er.
Coll schaute ihn einen Augenblick ernst an, dann ging ein Grinsen über sein Gesicht. »Nein, das ist nicht wahr. Das sagst du nur so.«
Par mußte ebenfalls grinsen. »Nein, das tu’ ich nicht.«
»Das tust du doch. Du willst mir nur Sand in die Augen streuen, damit du, wenn wir draußen auf dem See sind und ich keine Möglichkeit habe, meine eigenen
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