Shannara IV
einmal wären sie fast gekentert, wären sie nicht jedesmal, wenn der Wind sich plötzlich drehte, in Alarmbereitschaft gewesen, und hätten sie nicht jedesmal mit ihrem ganzen Gewicht dagegengehalten, wenn das Boot umzukippen drohte. Sie nahmen Kurs nach Südwest, und bereits am frühen Nachmittag erreichten sie die Mündung des Rappahalladran.
Dort brachten sie das Boot in einer kleinen Bucht an Land, bedeckten es mit Schilfgras und Zweigen und machten sich mit Decken und Kochgerät auf den Weg flußaufwärts in Richtung Dulnwald. Es schien ihnen jedoch schon bald vorteilhafter, weil zeitsparender, den Fluß zu verlassen und landeinwärts in das Hochland von Leah vorzudringen. Sie hatten seit dem Vorabend nicht mehr über ihr Reiseziel gesprochen, obwohl sie stillschweigend übereingekommen waren, das Thema später zu erörtern. Sie hatten es natürlich nicht erörtert. Keiner von beiden hatte das Thema zur Sprache gebracht, weder Coll, weil sie in die Richtung gingen, in die er sowieso gehen wollte, noch Par, denn Coll hatte recht, wenn er sagte, daß eine Reise zurück nach Callahorn wohl überlegt sein wolle.
Merkwürdigerweise hatten sie, obwohl sie seit dem frühen Morgen weder über die Träume noch den alten Mann gesprochen hatten, unabhängig voneinander begonnen, ihre jeweiligen Standpunkte zu überdenken und sich einander anzunähern - insgeheim räumten sie ein, daß der andere vielleicht doch nicht so unrecht hatte.
Als sie schließlich wieder anfingen, die Angelegenheit zu besprechen, konnten sie dies ohne Streit tun. Es war inzwischen Nachmittag geworden. Eine hügelige Landschaft breitete sich vor ihnen aus, ein Teppich aus Gras und wilden Blumen, mit breitblättrigen Bäumen und Buschwerk. Der Nebel, der das Hochland das ganze Jahr über einhüllte, hatte sich vor dem hellen Sonnenlicht zurückgezogen und hing jetzt gleich einzelnen Wattebäuschen an den Spitzen der Bergkämme und Felsen.
»Ich glaube, die Waldfrau hat sich wirklich vor dem alten Mann gefürchtet«, sagte Par, als sie auf dem Weg zu einem kleinen Eschenhain eine lange, steile Böschung erklommen. »Ich glaube nicht, daß ihre Angst vorgetäuscht war. Keiner kann so gut schauspielern.«
Coll nickte. »Ich glaube, du hast recht. Damit, daß ich angedeutet habe, daß die beiden zusammenarbeiten, wollte ich dich nur zum Nachdenken zwingen. Doch die Frage, ob der Alte uns wirklich alles gesagt hat, geht mir einfach nicht aus dem Sinn. Das, was mir aus den Geschichten über Allanon am meisten in Erinnerung geblieben ist, ist, daß er im Umgang mit den Ohmsfords immer ausgesprochen vorsichtig und zurückhaltend war.«
»Er hat ihnen nie alles gesagt, das stimmt.«
»Also könnte es sein, daß der alte Mann ihm ähnlich ist.«
Nachdem sie die Anhöhe erreicht hatten, ließen sie ihre zusammengerollten Decken zu Boden sinken und begaben sich in den Schatten der Eschen, um von dort aus ihren Blick über das Hochland schweifen zu lassen. Der Schweiß rann ihnen aus allen Poren und ließ ihre Hemden an ihren Rücken kleben.
»Wir werden’s heute nicht mehr bis nach Hause schaffen«, sagte Par, während er sich im Schatten der Bäume niederließ.
»Es sieht nicht danach aus, das stimmt«, pflichtete Coll ihm bei, der jetzt alle viere von sich gestreckt hatte.
»Ich habe nachgedacht.«
»Das kann nie schaden.«
»Ich habe darüber nachgedacht, wo wir die Nacht verbringen können. Es wäre nicht schlecht, zur Abwechslung mal wieder in einem Bett zu schlafen.«
Coll lachte. »Dagegen hätte ich bestimmt nichts einzuwenden. Hast du eine Ahnung, wo wir hier mitten im Niemandsland ein Bett finden sollen?«
Par drehte sich langsam um und sah ihn an. »Ich habe tatsächlich eine Idee. Morgans Jagdhütte ist nur einige Meilen von hier entfernt. Ich wette, wir könnten sie für eine Nacht ausleihen.«
Coll blickte gedankenvoll drein. »Ja, ich wette, das könnten wir.«
Morgan Leah war der älteste Sohn einer Familie, deren Vorfahren einst Könige von Leah waren. Die Monarchie war jedoch vor fast zweihundert Jahren, als die Föderation sich nach Norden ausgedehnt und das Hochland verschlungen hatte, abgeschafft worden. Seit dieser Zeit gab es in Leah keine Könige mehr, und die Familie hatte in all den Jahren danach von der Landwirtschaft und dem Handwerk gelebt. Das gegenwärtige Familienoberhaupt, Kyle Leah, lebte als Landbesitzer im Süden der Stadt und züchtete Rinder. Morgan, sein ältester Sohn und gleichzeitig Par und Colls
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