Shannara IV
voller Zuversicht und vergaß dabei zum erstenmal die Schmerzen in seinem Körper, den Hunger und die Angst. Irgend etwas würde geschehen. Er spürte es genau.
Das, was geschah, hätte er beim besten Willen nicht erwartet. Er versuchte wieder, seine Fesseln abzustreifen; sein Schweiß begann langsam, sie zu lockern, als eine Gestalt aus der Dunkelheit auftauchte. Sie ging um das am Eingang brennende Feuer herum, trat ins Licht und blieb stehen.
Es war ein Kind.
Par blinzelte.
Das Kind war ein Mädchen, ungefähr zwölf Jahre alt, ziemlich groß und mager, mit dunklem, strähnigem Haar und tiefliegenden Augen. Sie gehörte nicht der Gnomenrasse, sondern der Menschenrasse an; es war eine Südländerin in einem zerlumpten Kleid, abgetragenen Stiefeln und mit einem kleinen silbernen Medaillon um den Hals. Neugierig sah sie ihn an, taxierte ihn wie einen herumstreunenden Hund und trat auf ihn zu. Sie hob eine Hand, um ihm das Haar aus dem Gesicht zu streichen. »Elfe«, sagte sie leise.
Par starrte sie an. Was hatte dieses Kind unter den Spinnengnomen verloren? »Binde mich los«, bettelte er.
Sie schaute ihn an, ohne ein Wort zu sagen.
»Binde mich los!« wiederholte Par. Er spürte, wie ihm Zweifel kamen. Irgend etwas stimmte hier nicht.
»Ich drücke dich«, sagte das Mädchen plötzlich. Sie kam auf ihn zu, schlang ihre Arme um ihn, und schon hing sie an ihm, fest wie ein Blutegel. Sie klammerte sich an ihn, vergrub sich in seinen Körper, flüsterte immer wieder Worte, die er nicht verstand.
Was war los mit diesem Kind? fragte er sich bestürzt. Er spürte, wie sich der Druck ihrer Hände verstärkte, wie sie forderte, forderte. Der Schock überwältigte ihn. Sie war ganz nah, sie verkroch sich in ihn, vergrub sich in ihn, sie drang in ihn ein, sie verschmolz mit ihm, sie wurde ein Teil von ihm.
Verdammt! Was war hier los?
Der Ekel, der in ihm aufstieg, kam so unerwartet, daß er erschauerte. Er schrie, schüttelte sich vor Entsetzen, schlug verzweifelt um sich, bis es ihm schließlich gelang, sie wegzuschleudern. Sie fiel zu Boden, und ihr kindliches Gesicht verwandelte sich in eine abscheuliche Fratze.
»Gib mir die Magie!« krächzte sie mit einer Stimme, die keine Ähnlichkeit mehr mit der eines Kindes hatte.
Jetzt war ihm alles klar. »Nein, nein«, flüsterte er und nahm alle seine Kraft zusammen, als sie sich wieder vom Boden erhob.
Dieses Kind war ein Schattenwesen!
»Gib sie mir!« wiederholte sie mit fordernder Stimme. »Laß mich in dich eindringen und sie kosten!«
Sie näherte sich ihm, eine spindeldürre Gestalt, und streckte ihre Hände nach ihm aus.
Er schlug wie wild um sich.
Sie lächelte boshaft und trat zurück. »Du gehörst mir«, sagte sie leise. »Die Gnome haben dich mir überlassen. Ich werde deine Magie bekommen. Überlaß dich mir. Spür doch nur, wie ich mich anfühle!«
Sie näherte sich ihm wie eine Katze der Maus, vermied dabei seine Stöße und krallte sich mit einem schaurigen Heulen an ihm fest. Er zwang sich, nach unten zu sehen, und bemerkte die Gestalt im Körper des Kindes, die versuchte, in den seinen einzudringen. Das Schattenwesen suchte. Er warf den Kopf zurück, biß die Zähne aufeinander, machte seinen Körper so hart wie Stahl und kämpfte dagegen an. Das Schattenwesen versuchte, ihn in Besitz zu nehmen. Es versuchte sich mit ihm zu vereinen!
Er stieß einen Schrei aus, ein Gebrüll aus Zorn und Qual, das die Magie des Wunschlieds freisetzte. Er verband keine Bilder damit, denn er wußte, daß selbst sein furchterregendstes Bild nichts gegen diese Bestien ausrichten konnte. Das Bild ergab sich ohne sein Zutun, befreite sich aus einem dunklen Winkel seines Wesens, um eine Gestalt anzunehmen, die er nicht erkannte. Es war etwas Dunkles, Unerkenntliches, das ihn umspann wie die Fäden einer Spinne. Das Schattenwesen zischte und wich zurück, spuckte und schlug seine Krallen in die Luft. Es fiel noch einmal zu Boden, der Körper des Kindes wurde von einer unsichtbaren Kraft gekrümmt und geschüttelt.
Er wußte nicht, was er getan hatte oder wie er es getan hatte, aber das Schattenwesen im Körper des Kindes war verschwunden. Das Kind erhob sich langsam und richtete sich auf, ein Kind im wahrsten Sinne des Wortes, zerbrechlich und verloren. Aus dunklen Augen schaute sie ihn an und sagte schwach: »Drück mich.«
Dann rief sie in die Dunkelheit hinaus, und Spinnengnome kamen zum Vorschein, zu mehreren Dutzend sich vor dem Kind verbeugend, während sie
Weitere Kostenlose Bücher