Shannara IV
vielleicht steckt dahinter nur die Magie der Druiden, mit der sie die Versprechungen und Gelübde, die wir so leichtfertig eingehen, umkehren und uns dorthin lenken, wo wir am allerwenigsten sein wollen.« Er zog seine Kleider enger um sich und beugte sich vor. »Wie steht’s nun mit dir, kleine Wren? Tapferer Adler oder ängstlicher Spatz - was bist du? Die Situation erfordert eine klare Entscheidung. Wähle also.«
Wren ließ ihren Blick kurz zu Garth gleiten, bevor er sich im Wald verlor und tief in die Schatten eintauchte. Ihre Gedanken und Fragen der vorhergegangenen Nacht holten sie wieder ein, setzten sich mit quälender Beharrlichkeit in ihr fest. Sie wußte, daß sie gehen konnte, wenn sie nur wollte. Die Fahrenden würden sie nicht aufhalten, nicht einmal Garth - obwohl er darauf bestehen würde, sie zu begleiten. Sie konnte dem Schatten von Allanon entgegentreten. Sie konnte mit dem Geist einer Legende sprechen, mit einem Mann, an dessen Existenz viele zweifelten. Sie konnte ihm die Fragen stellen, die sie schon seit vielen Jahren mit sich herumtrug, vielleicht einige Antworten erhalten, möglicherweise sogar etwas über sich selbst erfahren, das ihr bis jetzt verborgen geblieben war. Ein ziemlich ehrgeiziges Unterfangen, dachte sie, und gleichzeitig ein rätselhaftes.
Es würde bedeuten, daß sie Par, Coll und Walker Boh Wiedersehen würde - ihre andere Familie, die vielleicht gar keine richtige Familie war. Nachdenklich schürzte sie die Lippen. Vielleicht würde sie sogar Gefallen daran finden.
Aber es würde auch bedeuten, daß sie sich mit der Wirklichkeit ihrer Träume auseinandersetzen mußte - oder zumindest mit der Wirklichkeit eines Geistes. Und das konnte gleichzeitig ihr ganzes Leben verändern, ein Leben, mit dem sie vollkommen zufrieden war. Es konnte bedeuten, daß ihr Leben dadurch zerstört wurde, daß sie in Dinge verwickelt wurde, die sie besser gemieden hätte.
Ihre Gedanken rasten. Sie spürte das Gewicht des kleinen Beutels mit den gefärbten Steinen um ihren Hals, so, als sollte sie an die vor ihr liegenden Möglichkeiten erinnert werden. Auch sie kannte die Geschichten um die Ohmsfords und die Druiden, und sie war vorsichtig.
Ganz unerwartet mußte sie lächeln. Seit wann hielt die Vorsicht sie vom Handeln ab? Himmel! Sie stand vor einer verschlossenen Tür, die nur daraufwartete, aufgestoßen zu werden.
Der alte Mann unterbrach sie in ihren Gedanken. »Mädchen, ich werde langsam müde. Diese alten Knochen müssen bewegt werden, wenn sie nicht einrosten sollen. Laß mich wissen, wie du dich entschieden hast. Oder brauchst du, ähnlich wie die anderen in deiner Familie, ein unbegrenztes Maß an Zeit, um diese Angelegenheit hin- und herzuüberlegen?«
Mit hochgezogener Augenbraue warf Wren einen flüchtigen Blick in Garths Richtung. Das Nicken des Fahrenden war kaum wahrnehmbar. Sie wandte sich wieder Cogline zu. »Du bist so gereizt, Großväterchen«, tadelte sie. »Wo ist deine Geduld?«
»Mit meiner Jugend verschwunden, mein Kind«, sagte er unerwartet milde. »Wofür hast du dich nun entschieden?«
Sie lächelte. »Für das Hadeshorn und Allanon«, antwortete sie. »Was hast du denn erwartet?«
Aber der alte Mann gab ihr keine Antwort.
Kapitel 14
Fünf Tage später, während die Sonne den westlichen Himmel mit lila und roten Strahlen überzog, wie es nur im Sommer zu sehen ist, erreichten Wren, Garth und der alte Mann, der sich Cogline nannte, die ersten Ausläufer der Drachenzähne und den sich windenden, engen, felsigen Pfad, der in das Tal von Shale und zum Hadeshorn führte.
Par Ohmsford sah sie als erster. Er war auf dem Pfad ein paar hundert Meter bis zu einem Felsvorsprung gewandert, der ihm einen Ausblick auf die Ebene südlich von Callahorn bot und wo er mit seinen Gedanken allein sein konnte. Er war bereits am Vortag mit Coll, Morgan, Walker Boh, Steff und Teel angekommen, und seine Geduld wurde während des Wartens auf den Anbruch der ersten Nacht des neuen Mondes auf eine harte Probe gestellt. Er war in die majestätische Schönheit des Sonnenuntergangs vertieft, als er das komische Dreiergespann erblickte, das auf Pferden aus dem Schatten eines Pappelwaldes heraus- und auf ihn zuritt. Langsam erhob er sich, als könne er seinen eigenen Augen nicht trauen. Dann, als er festgestellt hatte, daß seine Augen ihm keinen Streich spielten, sprang er auf und eilte den Pfad hinunter, um seine Gefährten, die eben ihr Lager aufgeschlagen hatten, von seiner
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