Shannara V
langen Augenblick lang reagierte Rimmer Dall überhaupt nicht, sondern stand nur da und sah Coll an. Mit harten Augen fixierte er ihn aufmerksam, als wäre die Lüge auf seinem Gesicht abzulesen.
»Ich werde ein anderes Mal erneut fragen«, sagte er schließlich. Die schweren Stiefel schabten über den Fels des Gehweges. »Kehre zu deinem Training zurück. Ich werde ihn selbst finden, auf die eine oder andere Weise. Wenn es soweit ist, werde ich dich freilassen.«
Er wandte sich ab und ging davon. Coll sah ihm nach. Er beobachtete jedoch nicht den Mann, sondern betrachtete den Umhang, den er trug, und dachte: Wenn ich nur fünf Sekunden lang diesen Umhang bekommen könnte…
Er dachte noch immer darüber nach, als er am nächsten Tag erwachte. Ein Umhang, der die Identität des Trägers vor denjenigen verbergen konnte, denen er begegnete, der ihn als jemanden erscheinen ließ, dem sie vertrauen konnten - hier war vielleicht ein Weg, der ihn aus der Südwache herausführen könnte. Rimmer Dall stellte sich das Spiegeltuch vielleicht als ein Versteck vor, das es ihm erlauben würde, Par eine Falle zu stellen, aber Coll hatte eine weit bessere Idee für den Gebrauch der Magie. Wenn er in den Besitz des Umhanges gelangen und ihn anlegen könnte… Seine Erregung über seine Idee erlaubte es ihm nicht, den Gedanken zu beenden. Er überlegte, wie er es wohl schaffen könnte, und sein Verstand arbeitete, während er sich anzog, die Länge seiner Zelle durchschritt und auf sein Frühstück wartete.
Dann kam ihm einen Moment lang in den Sinn, daß es außerordentlich leichtsinnig von Rimmer Dall gewesen war, ihm die Magie zu zeigen, wo die Schattenwesen doch so bemüht waren, derartiges zu verbergen. Aber andererseits war der Erste Sucher ja wohl erpicht auf seine Hilfe, Par auszumachen, und der Umhang war nutzlos, wenn sie Par nicht fanden. Wahrscheinlich hatte Dall gehofft, Coll einfach überreden zu können, indem er ihn wissen ließ, daß er solche Magie besaß.
Doch dann wurde dieser Gedanke plötzlich von einem anderen verdrängt. Was, wenn der Umhang ein Trick war? Wie konnte er sichergehen, daß das Spiegeltuch auch tat, was von ihm gefordert wurde? Welchen Beweis hatte er? Er schreckte auf, als sein metallener Essensnapf durch den Türschlitz am Fußboden glitt. Er starrte einen Moment lang hilflos vor sich hin und zögerte. Warum sollte der Erste Sucher jedoch lügen? Was konnte er damit gewinnen?
Die Fragen quälten und überwältigten ihn schließlich, und er schob sie beiseite, um sein Frühstück zu sich zu nehmen. Als er das beendet hatte, ging er hinunter in den Übungshof, um mit Ulfkingroh zu trainieren. Er mußte erneut mit Rimmer Dall sprechen und mehr über den Umhang und seine Magie herausfinden. Aber er konnte es sich nicht leisten, allzu interessiert zu wirken. Er konnte nicht zulassen, daß der Erste Sucher sein wahres Motiv erriet. Das bedeutete, daß er warten mußte, bis Rimmer Dall zu ihm kam.
Aber der Erste Sucher erschien weder an diesem noch am nächsten Tag, und erst drei Tage später, als Coll bei Einsetzen der Dämmerung erschöpft zurück in seine Zelle schlich, materialisierte er sich aus den Schatten und schloß sich ihm an.
»Hast du noch einmal darüber nachgedacht, ob du mir nicht helfen willst, deinen Bruder zu finden?« fragte er beiläufig, und sein Gesicht versenkte sich in die Kapuze seines schwarzen Umhanges.
»Ein wenig«, räumte Coll ein.
»Die Zeit vergeht schnell, Bewohner des Vale.«
Coll zuckte angelegentlich die Achseln. »Es bereitet mir Mühe, alles zu glauben, was Ihr mir erzählt. Ein Gefangener wird selten aufgefordert, seinem Gefängniswärter zu vertrauen.«
»Nein?« Coll konnte das düstere Lächeln des anderen fast spüren. »Ich hätte gedacht, es wäre genau umgekehrt.«
Sie gingen ein paar Schritte schweigend nebeneinander, und Colls Gesicht brannte vor Wut. Er wollte den anderen herausfordern, wo er ihn so nahe hatte. Sie waren allein in diesen dunklen Gängen, nur sie beide. Er unterdrückte die Versuchung, denn er wußte, wie dumm es wäre, dieser jetzt nachzugeben.
»Ich glaube, Par würde die Magie des Spiegeltuches durchschauen«, sagte er schließlich.
Dall schaute ihn an. »Wie?«
Coll atmete tief ein. »Seine eigene Magie würde ihn warnen.«
»Du glaubst also, es würde mir nicht gelingen, nahe genug an ihn heranzukommen, um auch nur mit ihm sprechen zu können?« Die flüsternde Stimme war heiser und leise.
»Das frage ich mich«,
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