Shannara V
Schattenwesen erschienen und gingen genau wie das andere zuvor gleichmütig an ihm vorbei. Coll spürte, wie sich seine Muskeln unter seiner Anspannung strafften, aber sein Vertrauen in das Spiegeltuch wuchs.
Er überlegte einen Augenblick, ob er in das Innere der Südwache hinabsteigen sollte, um herauszufinden, was die Schattenwesen dort verbargen. Aber er sagte sich, daß das Risiko zu groß war. Es war besser, so schnell wie möglich hier herauszukommen. Was auch immer geschah, er mußte freikommen.
Er eilte durch die Schatten des Zwielichts die Gänge entlang, die zu den äußeren Höfen führten. Er erreichte sie ohne Probleme, durchquerte sie und stand vor einer Außentür, bevor er es richtig bemerkte. Er schaute sich hastig um. Niemand war zu sehen.
Er drückte die Klinke hinunter, stieß die Tür auf und trat hinaus.
Er stand in einer Nische, die ihn vor der hereinbrechenden Nacht schützte. Vor ihm erstreckte sich silbrig schimmernd der Regenbogensee. Die Wälder, die ihn umgaben, waren eine dunkle, unregelmäßige Masse, die von Leben brummte und summte und den Geruch von Blättern, Erde und Gräsern süß in die Sommerluft sandte.
Coll Ohmsford atmete tief ein und lächelte. Er war frei. Er hätte lieber gewartet, bis es vollständig dunkel war, aber er konnte keine Verzögerung riskieren. Es würde nicht lange dauern, daß er vermißt wurde. Tief in das Riedgras geduckt, lief er aus den Schatten der Mauer unter die Bäume.
Vom Fenster eines verdunkelten Raumes aus, dreißig Fuß über ihm, beobachtete Rimmer Dall seinen Aufbruch.
Es hatte für Coll Ohmsford niemals eine Frage gegeben, wohin er gehen sollte. Er bahnte sich seinen Weg zwischen den Bäumen hindurch, die die Südwache vom Mermidon trennten, wählte eine ruhige Stelle ungefähr eine Meile stromaufwärts, durchschwamm den Fluß und zog dann in Richtung Tyrsis zu seinem Bruder. Er wußte zwar nicht, wie er Par finden sollte, wenn er die Stadt erst einmal erreicht hatte, aber darüber wollte er sich später Gedanken machen. Seine dringlichste Sorge war, daß die Schattenwesen bereits nach ihm suchten. Sie tauchten gleich nach seiner Flucht überall auf, schwarze Schatten, die wie Geister auf der Jagd leise und gespenstisch durch die Nacht schlichen. Aber wenn sie ihn sahen - und er war sicher, daß sie ihn gesehen haben mußten -, verbarg ihn das Spiegeltuch vor ihnen. Sie zogen an ihm vorbei, ohne innezuhalten und ohne Interesse zu zeigen, und verschwanden wieder, wie sie gekommen waren.
Aber es waren so viele!
Es war seltsam genug, daß der Umhang ihm ein erhöhtes Empfinden verlieh, wer und wo sie waren. Er konnte ihre Gegenwart spüren, bevor er sie sah, konnte sagen, aus welcher Richtung sie sich näherten, und im voraus erkennen, wie viele es waren. Er versuchte nicht, sich vor ihnen zu verbergen, denn wenn die Magie des Umhangs versagte, würden sie ihn sofort entdecken. Statt dessen versuchte er wie ein normaler Reisender zu wirken, hielt sich an das offene Grasland und an Wege, wenn er welche fand, schritt leicht und ungezwungen aus und versuchte, nicht verdächtig zu wirken.
Irgendwie gelang ihm das. Obwohl die Schattenwesen überall um ihn herum waren und ihn offensichtlich suchten, konnten sie anscheinend nicht herausbekommen, wo er war.
In der Dämmerung schlief er ein paar Stunden und nahm dann seine Reise bei Tagesanbruch wieder auf. Er dachte mehr als einmal daran, den Umhang abzulegen, aber die Nähe so vieler dunkler Wesen hielt ihn davon ab. Er sagte sich, daß es besser sei, kein Risiko einzugehen. Immerhin würde er, solange er ihn trug, nicht entdeckt werden.
Er begegnete auf seinem Weg auch anderen Reisenden. Niemand schien sich für den Mann zu interessieren, den sie in ihm sahen. Einige wenige grüßten ihn. Die meisten gingen einfach an ihm vorbei.
Er fragte sich, als was er ihnen erschien. Er erschien ihnen wohl kaum als jemand, den sie wiedererkannten, sonst hätten sie etwas gesagt. Sie mußten in ihm einen normalen Reisenden gesehen haben. Daher fragte er sich, warum Rimmer Dall in dem Umhang wie sein Vater ausgesehen hatte. Und er fragte sich auch, warum die Magie bei ihm anders wirkte.
Der erste Tag verging schnell, und er errichtete sein Lager unter einigen Eschen in Sichtweite des Runne. Die Sonne versank in einem rotgoldenen Farbfleck hinter den Westlandwäldern, und die warme Nachtluft war vom Geruch der Wildblumen des Graslandes durchdrungen. Er schürte ein Feuer und aß wilde Früchte und
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