Shannara VI
hatten die Vernunft schon vor langer Zeit zurückgelassen. Sie nahmen es hin, daß sie sich wieder einem neuen Tag im Osten näherten, dessen schwaches Schimmern den verdunkelten Horizont mit goldenen Streifen überzog. Sie nahmen es hin, daß sie jenen Weg beschritten, auf dem die unterschiedlichsten Richtungen ihres Lebens sie zu einer Kreuzung geführt hatten, von der ab sie ein gemeinsames Schicksal teilen würden. Es gab Unausweichlichkeiten im Leben, die man nicht ändern konnte, wie sie wußten, und dies war sicherlich eine davon.
Sie hofften, während jeder von ihnen schweigend dieselben Gedanken wälzte, daß diese besondere Unausweichlichkeit zu etwas Gutem führen würde.
Morgan Leah hatte kaum Zeit, nach Luft zu schnappen.
Der Angriff war so schnell und unerwartet gekommen, daß er am Boden war, bevor er auch nur daran denken konnte, sich zu wehren. Die Hand war noch immer fest auf seinen Mund gepreßt, während eine Gestalt in einem dunklen Umhang sich anstrengte, ihn festzuhalten. Er hatte sein Schwert verloren und damit den einzigen Gegenstand, der ihm hätte helfen können, und er war so erstaunt darüber, daß er unvorbereitet erwischt worden war, daß er in der Art eines kleinen Tieres, das in einer Falle gefangen wird, erstarrte, obwohl sein Geist ihm zuschrie, er müsse sich bewegen. Seine Kehle verengte sich, und er hörte auf zu atmen. Er wußte, daß er tot war.
Ein großes, pelziges Gesicht schob sich nah an seines heran, als wollte es neugierig ergründen, welche Art Lebewesen er sein könnte, und die leuchtenden gelben Augen einer Moorkatze blinzelten zu ihm herab.
»Ruhig, Hochländer«, flüsterte eine vertraute Stimme sanft und tröstlich in sein Ohr. »Du bist in Sicherheit. Ich bin es nur.«
Die Hand wurde fortgenommen, und Morgan sog schnell und unregelmäßig die Luft ein. Er spürte, wie sich die Verspannungen in seinem Körper lösten und die Kälte aus seinem Magen verschwand. »Still jetzt«, flüsterte die Stimme. »Sie sind noch immer in der Nähe.«
Dann verschwand das Katzengesicht, und er erkannte Walker Boh.
Kapitel 31
Stresa kam erst zu Wren Elessedil, als die Dämmerung schon fast hereingebrochen war. Sterne standen am samtigen schwarzen Himmel, und der Wald war voller Schatten. Nur ein schwacher Lichtstreifen im Osten verkündete das Herannahen des neuen Tages. Aufgeregt und erleichtert erhob sie sich, als er erschien. Sie hatte die ganze Nacht lang auf ihn gewartet, obwohl er ohne weiteres auch noch einen weiteren Tag hätte entfernt sein können. Mit dem Hörvermögen der Elfen hatte sie seine Bewegungen schon registriert, bevor er aus dem Dunkel herankam, daher rief sie ihn.
»Stresa«, flüsterte sie. »Hier drüben.«
Er walzte bereitwillig heran, die Stacheln an seinen muskulösen Körper angelegt, die Schnauze angehoben, um die Luft zu schmecken, und die Augen wie Kerzen schimmernd.
»Ich kann dich ganz gut sehen, Elfenkönigin«, murmelte der Stachelkater, während er zu ihr herankam. »Und auch ganz gut hören.«
Wren lächelte beim Klang seiner Stimme. Es war noch keine drei Tage her, daß sie gefürchtet hatte, sie würde sie niemals wieder hören. Daß sie Tib Arne und Gloon so knapp entkommen war, hatte ihr eine neue Wertschätzung vieler Dinge ermöglicht, die sie einst für selbstverständlich erachtet hatte. Es war seltsam, daß man plötzlich besser hört, wenn das Flüstern des Todes erklingt. Sie fragte sich, wie viele Male sie ihm wohl noch lauschen mußte, bevor sie sich an ihre Lektion erinnern würde.
»Was hast du gefunden?« fragte sie ihn und kauerte sich hin, damit sie sein Gesicht besser sehen konnte.
Stresa witterte. »Einen Weg hinein für sie und einen hinaus für uns. Phffftt. Es kann gelingen.« Er sah sich um. »Wo ist der sstttpp Baumschreier?«
Sie machte eine Handbewegung. »Er wartet bei den anderen. Ich wollte nicht, daß jemand unser Gespräch mithört. Seltsam, wieviel besser er und ich uns jetzt verständigen können.«
Die Stacheln des Stachelkaters richteten sich auf und legten sich wieder an. »Das ist kaum eine Leistung. Baumschreier haben nicht viel zu sagen. Hsssttt. Halte dich mit deinen Verständigungsbemühungen zurück, Elfenkönigin.«
Sie verbiß sich ein Lächeln, um ihn nicht zu ermutigen. »Also können wir es tun, du und ich?«
»Hier ist nicht Morrowindl, und die Brakes sind nicht der In Ju. Natürlich können wir es tun. Sppptt!« Er spie aus. »Die Idee hätte mir selbst kommen
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