Shannara VII
Aufrichtigkeit auszuloten und den wahren Grund seiner Beharrlichkeit herauszufinden. Sie war ganz in sich zusammengesunken, und in ihren großen, dunklen Augen spiegelten sich ihre aufgewühlten Gefühle wie in einem tiefen See.
»Meine Eltern sind immer ein Geheimnis für mich geblieben«, sagte sie schließlich. »Meine Mutter starb bei meiner Geburt, und mein Vater war bereits vorher verschwunden. Ich habe sie niemals kennengelernt, sie niemals gesehen. Ich wußte von ihnen lediglich deshalb, weil die Leute, die mich aufzogen, mir deutlich genug zu verstehen gaben, daß ich nicht ihr Kind war. Sie sagten das nicht unfreundlich, aber sie waren strenge, entschlossene Menschen, die ihr Leben lang für das gearbeitet hatten, was ihnen gehörte, und davon ausgingen, daß das bei allen so sein müßte. Sie sorgten für mich, aber ich gehörte nicht zu ihnen. Ich gehörte zu Menschen, die tot und verschwunden waren.
Schon als ich sehr klein war, wußte ich, daß meine Mutter bei meiner Geburt gestorben war. Die Leute, bei denen ich aufwuchs, machten kein Geheimnis daraus. Sie sprachen hin und wieder von ihr, und als ich alt genug war, um Fragen über sie zu stellen, beschrieben sie sie mir. Sie war klein und dunkel gewesen wie ich. Sie war hübsch gewesen. Sie hatte die Gartenarbeit geliebt und war gerne geritten. Sie schienen sie für einen guten Mensch gehalten zu haben. Sie hatte in ihrem Dorf gewohnt, aber im Unterschied zu den meisten dort war sie in andere Teile des Südlandes gereist und hatte etwas von der Welt gesehen. Sie war nicht in dem Dorf aufgewachsen, sondern von einem anderen Ort zugezogen. Ich habe niemals erfahren, woher sie kam oder warum sie in diesem Dorf gelandet war. Wenn es irgendwo im Südland noch andere Verwandte gegeben haben sollte, so erfuhr ich zumindest nichts davon. Vielleicht wußten auch die Leute, bei denen ich aufwuchs, nicht mehr.«
Sie hielt inne, aber ihr Blick war fest auf den alten Mann gerichtet. »Diese Leute, bei denen ich wohnte, hatten zwei Kinder, die älter waren als ich. Sie liebten diese Kinder und ließen sie spüren, daß sie ein Teil der Familie waren. Sie nahmen sie mit, wenn sie andere Leute besuchten oder ein Picknick veranstalteten. Sie haben das niemals mit mir getan. Ich habe von Anfang an gespürt, daß ich nicht wie diese Kinder war. Ich mußte zu Hause bleiben, mich um dieses oder jenes kümmern, die Hausarbeit erledigen, tun, was man mir aufgetragen hatte. Ich durfte spielen, aber es war mir immer klar, daß es für mich etwas anderes war als für meinen Bruder und meine Schwester. Als ich älter wurde, bemerkte ich, daß meine neuen Eltern aus Gründen, die ich nicht verstand, mir gegenüber beunruhigt waren. Irgend etwas an mir mochten sie nicht, irgendwie trauten sie mir nicht. Es war ihnen lieber, wenn ich für mich alleine spielte, statt mit meinem Bruder und meiner Schwester, und meist tat ich das auch. Sie gaben mir zu essen und Kleidung und ein Dach über dem Kopf, aber ich war ein Gast in ihrem Haus und kein Mitglied der Familie. Nicht wie mein Bruder und meine Schwester. Das wußte ich.«
»Selbst damals muß das bitter für dich gewesen sein und dich entmutigt haben«, meinte Bremen.
Mareth zuckte die Achseln. »Ich war ein Kind. Ich habe nicht genug vom Leben verstanden, um zu ermessen, was mir angetan wurde. Ich habe meine Situation akzeptiert und mich nicht beklagt. Sie behandelten mich nicht schlecht. Ich glaube, die Leute, die mich aufzogen, mochten mich auch irgendwie, sonst hätten sie mich nicht aufgenommen. Das haben sie natürlich niemals gesagt. Sie teilten mir niemals den Grund dafür mit, aber ich muß davon ausgehen, daß sie nicht für mich gesorgt hätten - selbst in der Art und Weise, wie sie es taten -, wenn sie nicht etwas Liebe für mich empfunden hätten.«
Sie seufzte. »Mit zwölf begann ich eine Ausbildung. Man hatte mir gesagt, daß es so geschehen würde, und wie alles andere habe ich es als natürlichen Teil meines Lebens, des Erwachsenwerdens, hingenommen. Es störte mich nicht, daß mein Bruder und meine Schwester keine Ausbildung machten. Sie waren immer anders behandelt worden, und ich verstand, daß ihr Leben anders als meins verlaufen würde. Nachdem ich die Ausbildung begonnen hatte, sah ich die Leute, die mich großgezogen hatten, nur noch selten. Meine Pflegemutter besuchte mich einmal und brachte mir einen Korb mit etwas Essen. Es war ein schrecklicher Besuch, und sie verschwand schnell wieder. Einmal
Weitere Kostenlose Bücher