Shannara VII
der Vergangenheit oder vielleicht auch eingesponnen in Spekulationen über die Zukunft - er hatte gelernt, den Blick zu deuten. Oft war Mareth ganz woanders als in Wirklichkeit, mit einem unruhigen Geist und unzufriedenem Herzen.
Er ließ sie einige Zeit in Ruhe und gab sich seinen eigenen Gedanken hin; er wollte das, was er vorhatte, nicht überstürzen. Es war eine ungewisse Angelegenheit, und wenn sie das Gefühl bekam, zu etwas gezwungen zu werden, würde sie sich vollständig vor ihm verschließen. Und dennoch mußte es eine Lösung geben, und sie mußte jetzt kommen.
»In Nächten wie dieser denke ich oft an meine Kindheit«, sagte er schließlich, ohne sie anzusehen. Er starrte auf die Spitze des Berges und die Sterne, die darüber hingen. Er lächelte. »Oh, ich schätze, es scheint, als könnte jemand, der so alt ist wie ich, niemals jung gewesen sein. Aber ich war es. Ich wohnte im Bergland unterhalb von Leah mit meinem Großvater, der ein sehr fähiger Metallarbeiter war. Selbst als er alt war, waren seine Hände noch gerade und sein Auge fest. Ich habe ihm stundenlang zugesehen und war vollkommen erstaunt über seine Geschicklichkeit und Geduld. Er liebte meine Großmutter sehr, und als sie starb, nahm sie einen Teil von ihm mit, den er niemals wieder zurückgewann, aber der Verlust war die Zeit, die sie miteinander geteilt hatten, wert. Er sagte, nun hätte er mich an ihrer Stelle. Er war ein guter Mann.«
Er sah jetzt Mareth an und bemerkte, wie sie interessiert zurückblickte. »Bei meinen Eltern war es eine andere Sache. Sie waren meinem Großvater überhaupt nicht ähnlich. Sie konnten sich niemals an einer Stelle länger niederlassen, nicht einmal in ihrem kurzen Leben, und nichts von der Hingabe meines Großvaters an seine Arbeit schien in ihnen zu wurzeln. Sie wanderten immerzu herum, veränderten ihr Leben, suchten nach etwas Neuem, etwas anderem. Kurz, nachdem ich geboren wurde, ließen sie mich bei meinem Großvater zurück. Sie hatten keine Zeit für mich.«
Nachdenklich runzelte er die Stirn. »Ich habe es ihnen viele Jahre lang übelgenommen, aber schließlich habe ich verstanden. So ist es nun einmal mit Eltern und Kindern. Jede Seite enttäuscht die andere in einer Weise, die weder beabsichtigt ist noch erkannt wird, und es braucht eine Zeit, um diese Enttäuschung zu überwinden. So war es mit der Entscheidung meiner Eltern, mich zu verlassen.«
»Aber Ihr habt ein Recht, zu erwarten, daß Eure Eltern während Eurer Kindheit bei Euch bleiben«, erklärte Mareth.
Bremen lächelte. »Das habe ich auch geglaubt. Aber ein Kind versteht nicht immer die Entscheidungen seiner Eltern. Eigentlich kann ein Kind nur hoffen, Eltern zu haben, die versuchen, das Beste für es zu tun. Zu entscheiden, was das Beste ist, ist jedoch eine schwierige Aufgabe. Meine Eltern wußten, daß es nicht gut für mich wäre, unter ständigem Hin- und Herreisen aufzuwachsen, denn sie hätten mir nicht die nötige Aufmerksamkeit schenken können, die ich brauchte. Sie konnten sie sich kaum gegenseitig geben. Also ließen sie mich bei meinem Großvater, der mich liebte und sich um mich kümmerte, wie sie es nicht vermochten. Es war die richtige Wahl.«
Sie wägte den Gedanken einen Augenblick ab. »Aber sie hat Euch gezeichnet.«
Er nickte. »Eine Zeitlang, aber nicht dauerhaft. Vielleicht hat diese Entscheidung sogar dazu beigetragen, mich zu stärken. Ich gebe nicht vor, es zu wissen. Wir entwickeln uns so gut, wie es unter den gegebenen Umständen eben geht. Was nützt es, uns selbst für etwas zu kritisieren, das jahrelang zurückliegt? Besser, wir versuchen einfach zu verstehen, warum wir sind, wie wir sind, und uns dann zu bessern, indem wir daraus lernen.«
Beide schwiegen lange und sahen einander an. Ihre Gesichter wurden von dem Licht der Sterne und des Mondes genug beleuchtet, um ihren Ausdruck preiszugeben.
»Ihr sprecht über mich, nicht wahr?« wollte Mareth schließlich wissen. »Meine Eltern, meine Familie.«
Bremen zuckte mit keiner Wimper. »Du enttäuschst mich nicht, Mareth«, sagte er leise. »Dein Einfühlungsvermögen ist sehr groß.«
Er spürte, wie sie sich anspannte. »Ich nehme meinen Eltern übel, was sie getan haben. Sie ließen mich bei Fremden aufwachsen. Es war nicht der Fehler meiner Mutter, sie starb bei meiner Geburt. Und ich weiß auch nichts über meinen Vater. Vielleicht ist auch er tot. Vielleicht war es auch nicht sein Fehler.« Sie schüttelte den Kopf. »Aber das
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