Shannara VII
sträubten sich auf. Wer war dieser Fremde? Woher war er gekommen? Wenn er Mareths Vater war, wie hatte er sie hier gefunden? Woher wußte er, wer sie war?
»Mareth!« warnte er noch einmal.
»Was ist, wenn die Druiden bei allem, was sie getan haben, einem Irrtum unterlagen?« fragte der Fremde plötzlich. »Was ist, wenn alles, was du geglaubt hast, auf Lügen und Halbwahrheiten und Fälschungen basiert, die bis an den Ursprung der Zeit zurückreichen?«
»Das ist unmöglich«, antwortete Mareth sofort.
»Was ist, wenn du von denen betrogen wurdest, denen du vertraut hast?« fuhr der Fremde hartnäckig fort.
»Mareth, nein!« zischte Kinson ungestüm. Aber sofort hefteten sich die Augen des Fremden auf ihn, und Kinson Ravenlock konnte plötzlich weder sprechen noch sich bewegen. Er war wie erstarrt, als hätte er sich in einen Stein verwandelt.
Die Augen des Fremden richteten sich wieder auf Mareth. »Sieh mich an, Kind. Sieh mich genau an.« Zu Kinsons Erschrecken sah Mareth ihn an. Ihr Gesicht hatte jetzt einen leeren, in die Weite gerichteten Blick, als sähe sie etwas völlig anderes als das, was vor ihr stand. »Du bist eine von uns«, betonte der Fremde. Die Worte waren gleichzeitig sanft und zwingend. »Du gehörst zu uns. Du hast unsere Macht. Du hast unsere Leidenschaft. Du hast alles, was wir haben, nur eines nicht. Dir fehlt unser Ziel. Du mußt es in dich aufnehmen, Mareth. Du mußt akzeptieren, daß wir recht haben mit dem, was wir suchen - Stärke und ein langes Leben durch den Gebrauch der Magie. Du hast gespürt, wie es durch deinen Körper strömt. Du hast dich gefragt, wie du es zu etwas Eigenem machen kannst. Ich werde dir zeigen, wie. Ich werde dich lehren. Du mußt nichts von dem verbergen, was zu dir gehört. Du brauchst keine Angst zu haben. Das Geheimnis liegt darin, dem Beachtung zu schenken, was es von dir will, es nicht zu unterdrücken, vor seinen Ansprüchen nicht zu fliehen. Verstehst du mich?«
Mareth nickte kaum wahrnehmbar. Kinson sah, wie der Fremde vor ihnen sich unmerklich veränderte. Er schien jetzt gar nicht mehr so menschlich, erinnerte auch nicht mehr an Bremen oder Mareth. Er wurde statt dessen etwas ganz anderes.
Langsam und unter Schmerzen wehrte der Grenzländer sich gegen die unsichtbaren Ketten, die seine Muskeln festhielten. Vorsichtig führte er die Hand an der Hüfte entlang zu der Stelle, wo sein langes Messer in der Scheide steckte.
»Vater?« rief Mareth plötzlich. »Vater, warum hast du mich verlassen?«
Eine lange Stille breitete sich in der dunklen Nacht aus. Kinsons Hand schloß sich um den Griff seines Messers. Seine Muskeln schrien vor Schmerzen, und sein Geist fühlte sich betäubt an. Das hier war eine Falle wie die, die der Dämonenlord ihnen auf Paranor gestellt hatte! Hatte der Fremde auf sie gewartet, oder nur auf irgend jemandem, der gerade hierherkam? Hatte er wirklich gewußt, daß Mareth kommen würde? Hatte er gehofft, es würde Bremen sein? Seine Finger krallten sich um das Messer.
Jetzt winkte der Fremde der jungen Frau. Seine Hand war knotig, und die Finger hatten Klauen. Aber Mareth schien es nicht zu bemerken. Sie machte sogar einen kleinen Schritt auf ihn zu.
»Ja, Kind, komm zu mir«, drängte der Fremde. Seine Augen waren jetzt rot wie Blut, und scharfe Zähne erschienen hinter dem Lächeln, das so heimtückisch war wie der Biß einer Schlange. »Laß mich dir alles erklären. Nimm meine Hand, nimm die Hand deines Vaters, und ich werde dir erzählen, was du wissen solltest. Dann wirst du verstehen. Du wirst sehen, daß ich recht habe. Du wirst die Wahrheit erkennen.«
Mareth ging noch einen Schritt auf ihn zu. Sie ließ die Hand, mit der sie den Druidenstab umfaßt hielt, etwas sinken.
Im nächsten Augenblick hatte sich Kinson Ravenlock aus der Magie befreit, die ihn gefangengehalten hatte, er sprengte die unsichtbaren Fesseln und riß sein Messer heraus. In einer einzigen fließenden Bewegung ließ er das Messer auf den Fremden zuschnellen. Mareth schrie vor Angst auf - ob es Furcht um sich selbst oder ihren Vater oder gar um Kinson war, hätte der Grenzländer nicht sagen können. Aber der Fremde veränderte sich blitzartig, und verwandelte sich in etwas eindeutig nicht mehr Menschliches. Ein Arm hob sich, und ein Strahl giftgrünen Feuers schoß nach vorne und verbrannte das Jagdmesser mitten in der Luft.
Das, was jetzt im Dunst aus Rauch und flackerndem Licht vor ihnen stand, war ein Schädelträger.
Ein zweites Mal
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