Shannara VII
ihre Eltern keine Auswirkung auf Mareths Charakter haben müßten, aber das zählte natürlich nicht viel. Hier ging es um mehr als nur Logik. Mareth war vernünftig und intelligent, aber die Wirren ihrer Kindheit und die schwierigen Verwicklungen ihres Erwachsenenlebens hatten sie gegenüber Angriffen auf die wenigen Überzeugungen, die ihr bisher Halt gegeben hatten, besonders verletzlich gemacht.
Von Zeit zu Zeit kam ihm der Gedanke, mit ihr darüber zu sprechen. Er hätte ihr gern gesagt, daß sie die Person war, die sie immer geglaubt hatte zu sein, daß er das Gute in ihr sehen konnte, daß er dessen Stärke aus erster Hand miterlebt hatte, und daß sie niemals von etwas so Flüchtigem wie dem Erbe ihres Blutes betrogen werden könnte. Aber ihm fehlten die Worte, in die er derartige Gedanken hätte kleiden müssen, um nicht herablassend zu wirken, und ein solches Risiko wollte er nicht eingehen. Sie schien zufrieden damit, daß er bei ihr war, und trotz seiner harten Erwiderung auf Bremens Vorschlag, daß sie ihm folgen sollte, war auch er insgeheim froh über ihre Begleitung. Er hatte sich an sie gewöhnt, an ihre gemeinsamen Erlebnisse, an ihre Gespräche, an die Art, wie sie jeweils wußten, was der andere dachte, und er verspürte Gefühle für sie, die er nicht so einfach benennen konnte. Sie wurden hervorgerufen durch solch kleine Dinge wie den Klang ihrer Stimme, die Art, wie sie ihn ansah, den Sinn für Kameradschaft, der über das bloße Zusammenreisen hinausging. Es genügte, beschloß er schließlich, daß er dann zugegen sein würde, wenn sie wirklich reden wollte. Sie wußte, daß die Identität und Herkunft ihres Vaters keinen Unterschied für ihn machten. Sie wußte, daß all dies nicht zählte.
Sie erreichten Culhaven gegen Sonnenuntergang, als das Licht bereits verblaßte und es kühler wurde. In den Schatten hing der beißende Gestank des Todes. Die Heimatstadt der Zwerge war bis auf den Grund niedergebrannt, das Land verwüstet. Nichts war übriggeblieben als verkohlte Erde, Trümmer, ein paar verbrannte Holzbalken und verstreute Knochen. Viele der Toten waren dort liegengelassen worden, wo sie gefallen waren. Sie unterschieden sich jetzt kaum noch voneinander, aber die Größe der Knochen verriet, daß auch Kinder darunter gewesen waren. Der Grenzländer und die Druidenschülerin sahen sich traurig um und verschafften sich einen Überblick über die Lage, dann begannen sie, langsam durch die Überreste des Gemetzels zu schreiten. Der Angriff mußte schon einige Wochen her sein, denn das Land hatte sich bereits erholt, und kleine grüne Triebe bahnten sich ihren Weg durch die Asche. Aber es gab kein menschliches Leben mehr in Culhaven und über der großen Waldlichtung hing ein Schleier aus gleichgültigem Schweigen.
In der Mitte der Stadt fanden sie ein riesiges Loch - Hunderte von Zwergen hatte man dort hineingeworfen und verbrannt.
»Warum sind sie nicht fortgerannt?« fragte Mareth leise. »Warum sind sie geblieben? Sie müssen es gewußt haben. Sie müssen gewarnt worden sein.«
Kinson blieb still. Sie wußte die Antwort ebensogut wie er. Hoffnung konnte trügerisch sein. Er blickte auf und schaute auf die Ruinen. Wo waren die überlebenden Zwerge? Dies war die Frage, auf die er sich eine rasche Antwort wünschte.
Sie gingen weiter, jetzt schneller, denn es gab nichts zu sehen, was sie nicht bereits in Hülle und Fülle gesehen hätten. Es wurde langsam dunkler, und sie wollten ein gutes Stück hinter den Ruinen der Stadt sein, wenn sie ihr Lager aufschlugen. Hier würden sie ohnehin keine Unterkunft finden. Es gab nichts, das sie hier halten konnte. Sie gingen weiter, folgten dem Fluß dorthin, wo er sich träge aus dem östlichen Wald herauswand. Vielleicht wäre es weiter vorne besser, dachte Kinson hoffnungsvoll. Vielleicht hatte dort jemand überlebt.
Etwas huschte durch die Trümmer neben ihm und ließ den Grenzländer zusammenzucken. Ratten. Er hatte sie vorher nicht gesehen, aber natürlich waren sie da. Ebenso wie andere Aasfresser, vermutete er. Er spürte, wie ihm ein Schauder über den Rücken lief. Er mußte an ein Erlebnis aus seiner Kindheit denken, als er in einer Höhle, die er erkundet hatte, eingeschlafen war und beim Aufwachen Ratten über ihn hinweg krabbelten. In diesen kurzen, furchterregenden Augenblicken hatte er das Gefühl gehabt, dem Tod seltsam nahe zu sein.
»Kinson!« zischte Mareth plötzlich und blieb stehen.
Eine Gestalt in einem Umhang stand
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