Shannara VII
das Gefühl, als wären alle, Freunde und Feinde zugleich, vom Angesicht der Welt verschwunden.
Mareth erwähnte ihre Herkunft oder den Gedanken, die Suche aufzugeben, nicht wieder. Sie sprach nicht mehr von der Abscheu, die sie gegenüber ihrer Magie empfand oder von der Furcht vor denen, die sie ausübten. Sie schwieg den größten Teil der Reise, und wenn sie doch etwas sagte, so betraf es das Land, durch das sie zogen und die darin lebenden Geschöpfe. Es schien, als hätte sie die Ereignisse bei Culhaven hinter sich gelassen und sich an den Gedanken gewöhnt, bei Kinson zu bleiben, wenn sie auch ihre Entscheidung nicht in Worte kleidete. Allerdings lächelte sie ihn häufig an und setzte sich manchmal, bevor sie einschlief, noch nah zu ihm.
»Ich bin nicht mehr wütend«, sagte sie schließlich, als sie nebeneinander über eine Wiese mit lauter gelben Wildblumen gingen. Sie sah nach vorn und wich seinem Blick geschickt aus, »Ich war so lange wütend«, fuhr sie nach einem Augenblick fort. »Auf meine Mutter, auf meinen Vater, auf Bremen, die Druiden, jeden. Die Wut gab mir Kraft, aber jetzt entzieht sie mir Energie. Jetzt bin ich einfach nur noch müde.«
»Ich verstehe«, erwiderte er. »Ich reise seit mehr als zehn Jahren - so lange, wie ich mich erinnern kann - immer auf der Suche nach etwas. Jetzt möchte ich einfach nur stehenbleiben und mich ein wenig umschauen. Ich möchte irgendwo ein Heim haben. Hältst du das für dumm?«
Sie lächelte bei seinen Worten, sagte aber nichts.
Gegen Ende ihres dritten Tages, nachdem sie Culhaven verlassen hatten, erreichten sie das Rabenhorngebirge. Im Schutz seines Schattens erklommen sie die Gebirgsausläufer, als die Sonne hinter dem westlichen Horizont zu versinken begann. Der Himmel war ein wunderbarer Regenbogen aus Orange, Purpur und Lila. Die Farben breiteten sich überall aus, sie befleckten die Erde und reichten bis in die dunkler werdenden Ecken des Landes. Kinson und Mareth waren stehengeblieben und schauten sich gerade fasziniert dieses Schauspiel an, als ein einzelner Zwerg auf dem Weg vor ihnen erschien.
»Wer seid Ihr?« fragte er sie unumwunden.
Er war allein und trug nur einen schweren Knüppel, aber Kinson wußte sofort, daß noch andere in der Nähe waren. Er teilte dem Zwerg ihre Namen mit. »Wir suchen nach Risca«, verriet er ihm. »Der Druide Bremen trug uns auf, ihn zu finden.«
Der Zwerg erwiderte nichts darauf, sondern drehte sich statt dessen um und winkte den beiden, ihm zu folgen. Sie marschierten mehrere Stunden lang über einen Weg, der zwischen den Gebirgsausläufern hindurch auf die unteren Abhänge der Berge zuführte. Das Tageslicht verblaßte allmählich, der Mond und die Sterne krochen hervor und beleuchteten ihren Weg. Es wurde kühler, und ihr Atem bildete kleine Wölkchen. Kinson versuchte, noch andere Zwerge zu entdecken, aber er sah niemals mehr als den einen.
Schließlich kamen sie in ein Tal, in dem mehrere Wachfeuer brannten und zehnmal soviel Zwerge um sie herum kauerten. Die Zwerge schauten auf, als sie die Südländer erblickten, und einige erhoben sich von ihren Plätzen. Ihre Blicke waren ernst und argwöhnisch, und die Worte, die sie miteinander wechselten, waren bewußt leise gehalten. Sie trugen nur wenig Besitz bei sich, aber jeder einzelne von ihnen war schwer bewaffnet.
Kinson fragte sich plötzlich, ob er und Mareth in Gefahr waren. Er rückte dichter an Mareth heran, seine Augen bewegten sich unaufhörlich nach links und rechts. Er hatte kein gutes Gefühl, er fühlte sich bedroht. Vielleicht waren diese Zwerge Abtrünnige, die sich von der Hauptarmee entfernt hatten. Vielleicht existierte die Armee überhaupt nicht mehr.
Und dann war plötzlich Risca da. Er wartete, während sie auf ihn zugingen. Er hatte sich nicht verändert seit dem letzten Mal, als sie ihn am Hadeshorn verlassen hatten - bis auf ein paar zusätzliche Narben. Als sich auf seinem wettergegerbten Gesicht ein Lächeln ausbreitete und er ihnen seine Hand zur Begrüßung entgegenstreckte, wußte Kinson Ravenlock, daß alles wieder gut würde.
Kapitel 30
Zehn Tage nach Jerle Shannaras nächtlicher Attacke griff die Armee des Dämonenlords im Tal von Rhenn die Elfen an.
Der Schlag traf sie jedoch nicht unvorbereitet. Die ganze Nacht hindurch war es im feindlichen Lager ungewöhnlich hektisch zugegangen. Es waren so viele Wachfeuer angezündet worden, daß es schließlich aussah, als stünde das gesamte Grasland in Flammen. Die
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