Shannara VII
Die Fahrenden platzierten Walker am Bug und wiesen ihn an, nach großen Treibholzstücken Ausschau zu halten, dann stellten sie den Mast auf und setzten das Segel. Walker blickte sich unbehaglich um. Soweit er es einschätzen konnte, gab es keine Möglichkeit zu bestimmen, in welche Richtung sie fuhren. Aber das schien gleichgültig zu sein. Nachdem sich das Segel mit Wind gefüllt hatte, lehnten die beiden sich zurück, Alt Mer am Heck und seine Schwester mittschiffs, und so glitten sie mit stetigem Tempo durch die Nacht.
Es war eine ungewöhnliche Erfahrung, sogar für einen Druiden. Gelegentlich tauchten zwischen den Wolken ein paar Sterne auf, ein oder zwei Mal zeigte sich der Mond, aber ansonsten segelten sie durch eine Brühe aus Nebel und Dunkelheit und immergleichem Meer dahin. Zumindest war das Wasser ruhig. Redden Alt Mer pfiff und summte vor sich hin, während seine Schwester in die dunkle Nacht hinausstarrte. Walker bemerkte, wie er sich in Gedanken erneut mit der Zweifelhaftigkeit und Unsicherheit des Unternehmens beschäftigte, in das er sich kopfüber gestürzt hatte. Die Antworten auf drängende Fragen und die Andeutungen von Möglichkeiten schienen sich unter der Wasseroberfläche zu verbergen. Er kannte ein paar der Zusammenhänge und konnte sich einige weitere ausmalen, doch der Rest - der den weitaus größten Teil ausmachte - blieb noch im Dunkeln.
Mehrere Stunden segelten sie dahin, und weder die Geräusche noch die Umgebung veränderten sich. So überraschte es Walker, als Rue Meridian schließlich eine Öllampe anzündete und sie vorn an den Mast hängte. Vergeblich versuchte das Licht, die Finsternis zu durchdringen, schaffte es kaum, einige Meter vorzustoßen. Redden Alt Mer hatte sich auf die Bank am Heck gesetzt, sein Arm hing über der Ruderpinne, die Füße hatte er auf die Reling gestützt. Er nickte seiner Schwester zu, nachdem diese das Licht angebracht hatte, woraufhin sie nach vorn kam und den Platz mit Walker tauschte.
Kurz danach erschien ein zweites Segelboot, ragte plötzlich vor ihnen auf. Es war wesentlich größer, und Walker schätzte, dass mindestes sechs oder sieben Männer in der Takelage an den beiden Masten arbeiteten. Rue Meridian fing ein ihr zugeworfenes Tau auf und band es am Bug des Skiffs fest. Ihr Bruder löschte die Lampe, strich das Segel, legte den Mast um und setzte sich dann wieder. Die Arbeit dauerte nur Augenblicke, das Tau straffte sich, und nun wurden sie geschleppt.
»Bis wir unser Ziel erreichen, gibt es nichts mehr für uns zu tun«, sagte der Kapitän und machte es sich auf der Bank gemütlich. Kurze Zeit später war er eingeschlafen.
Rue Meridian setzte sich neben Walker. Es dauerte nicht lange, da sagte sie: »Ihn scheint wirklich nichts aus der Ruhe zu bringen. Ich habe ihn schon einmal schlafen sehen, während wir in die Schlacht flogen. Mit Unvorsichtigkeit oder mangelnder Sorgfalt hat das nichts zu tun. Der Große Rote steht immer bereit, wenn er gebraucht wird. Er kann nur einfach abschalten und ist wieder ganz da, sobald es losgeht.«
Mechanisch suchte sie das Wasser ab, während sie sprach. »Er wird dir erklären, er sei der Beste, weil er es selbst glaubt. Deshalb behauptet er auch, dass er dein Mann ist. Vielleicht hältst du ihn für einen Aufschneider, möglicherweise sogar für tollkühn. Ist er aber beides nicht. Er kann einfach nur ungeheuer gut fliegen.« Sie zögerte kurz. »Nein, nicht nur gut. Er ist viel besser. Er kann großartig fliegen. Sein Talent ist unglaublich. Einen besseren Mann habe ich noch nie gesehen. Die Soldaten an der Front haben gedacht, er habe Glück. Das hat er auch, aber zum größten Teil besteht sein Glück aus Tapferkeit, Klugheit und Begabung.«
Sie blickte ihn an. »Ich höre mich doch nicht an wie eine kleine Schwester, die ihren großen Bruder vergöttert?« Leise schnaubte sie. »Nun, das stimmt wohl, trotzdem lasse ich mich durch meine Gefühle für ihn nicht blenden. Wir haben die gleiche Mutter und unterschiedliche Väter. An unsere Väter können wir uns nur verschwommen erinnern. Sie waren Seeleute und Wanderer. Als unsere Mutter starb, waren wir noch sehr jung. Den größten Teil seines Lebens habe ich auf ihn aufgepasst; ich war besser als er. Ich kenne und verstehe ihn. Außerdem weiß ich um seine besonderen Fähigkeiten und Schwächen. Und ich habe alle seine Erfolge und Fehlschläge miterlebt. Niemals würde ich jemanden über ihn belügen, erst recht nicht mich selbst. Du solltest
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