Shannara VIII
zitterte vor Wut. Dann blickte sie in die Richtung, aus der sie gekommen war. Die Versuchung war groß, zurückzugehen und sich jetzt ausführlich mit ihm zu befassen. Er ähnelte ihr mehr, als ihr behagte. Das beunruhigte sie. Es bestand ein größerer Grund zur Sorge, als sie sich bislang hatte eingestehen wollen.
Eine Weile stand sie unentschlossen da. Dann atmete sie tief durch und befreite sich von ihrem Zaudern, indem sie sich schüttelte. Das, was vor ihr lag, war wichtiger. Der Junge war hilflos. Er würde ihr keine Probleme bereiten, ehe sie zurückkehrte, er würde einfach nur dasitzen und warten.
Sie schob das Schwert von Shannara zurecht, verscheuchte die Zornesfalten aus ihrem blassen Gesicht, zupfte an Mantel und Kapuze, die sie verhüllten, herum und setzte ihre Wanderung durch die Nacht fort.
Kapitel 19
Um Walker herum tobte ein Mahlstrom aus Feuerstrahlen und klirrendem Stahl, während er durch die Gänge von Castledown floh. Aus jeder Ecke wurde er angegriffen, Feuerstrahlen schossen aus verborgenen Scharten und Spalten, Kriecher drangen in hellen Scharen auf ihn ein. Sie hatten ihn erst Augenblicke zuvor entdeckt, als er durch einen scheinbar leeren Gang schlich, und jetzt umzingelten sie ihn. Mit Druidenfeuer hielt er sie auf Abstand, wenn auch nur knapp, und der Kreis zog sich enger, während er sich den Weg freikämpfte und durch Korridore und Kammern eilte, durch Türen in die dahinter liegenden Gänge gelangte. Jede Treppe, die nach oben führte, stieg er in der Hoffnung hinauf, die Oberfläche zu erreichen und damit seine Freiheit zurückzuerlangen. Längst suchte er schon nicht mehr nach den Büchern der Magie. Diesen Plan hatte er seit langem aufgegeben. Erschöpfung und Anspannung höhlten seine Entschlossenheit aus. Er konnte sich nicht mehr erinnern, wann er das letzte Mal geschlafen hatte. Außerdem kam es ihm vor, als habe er seit Wochen nichts mehr gegessen. Aus reinem Trotz und aus Sturheit floh er weiter, und aus der Gewissheit heraus, dass er sterben musste, wenn er anhielt.
Flach an die Wand gedrückt, beobachtete er eine Reihe Feuerstrahlen, die kreuz und quer seinen Weg blockierten. Er begriff das nicht. Was immer er auch tat, es schien die Dinge nur schlimmer zu machen. Gleichgültig, wie gut er aufpasste, er vermochte seinen Verfolgern nicht zu entgehen. Als wüssten sie schon vor ihm, was er im nächsten Moment tun würde. Das konnte doch nicht möglich sein. Er hatte sich in Druidenmagie gehüllt, die ihn verbarg. Seine Verfolger sollten ihn eigentlich überhaupt nicht sehen können. Bereits vor geraumer Zeit hätte er sie abhängen müssen. Dennoch waren sie da, hinter jeder Biegung, an jeder Kreuzung, warteten auf ihn, griffen ihn an, umzingelten ihn.
Er wich durch eine Tür zurück, die durch einen schmalen Korridor in einen größeren Gang führte. Für einen Augenblick ließ er die Feuerstrahlen hinter sich. Er holte tief Luft, seine Kehle brannte vom Rennen, seine Brust war wie zugeschnürt. Er versuchte zu überlegen, was er tun sollte, doch sein Verstand verweigerte die Arbeit. Sein Denken, einst so präzise und klar, war trübe und zäh geworden. Ermüdung und Überbeanspruchung waren sicherlich Ursachen, doch musste da noch ein anderer Grund vorliegen. Er konnte einfach nicht nachdenken, konnte sich nicht konzentrieren, konnte nicht vernünftig überlegen. Er wusste, wie man lief, er wusste, wie man sich verteidigte, doch darüber hinaus wollte sein Verstand nicht funktionieren. Alle Erinnerungen an die Vergangenheit waren versperrt, alles, was zu dieser misslichen Lage geführt hatte, verflüchtigte sich zu vagen, surrealen Bildern. Nichts war ihm mehr wichtig. Nichts außer dem Hier und Jetzt und seinem Kampf ums Überleben.
Natürlich war das falsch. Nicht moralisch gesehen, sondern rational - es war eben falsch. In dieser Weise zu denken ergab keinen Sinn. Er kämpfte dagegen an, versuchte das Problem in den Griff zu bekommen, damit er es von allen Seiten betrachten konnte, aber nichts funktionierte. Er trieb im Augenblick dahin, ohne eine Möglichkeit, sich daraus zu befreien.
Dort, am Ende des größeren Ganges, gab es eine Treppe, und erneut rannte er los, um sie vor seinen Verfolgern zu erreichen. Sie führte auf richtiges Licht zu, auf eine Helligkeit, die echter wirkte als diese flammenlosen Lampen seines Gefängnisses. Er stürmte die Treppe hinauf in das Glühen und dachte, endlich - endlich! - habe er seinen Weg in die Freiheit gefunden. Oben
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