Shannara VIII
den Schlüssel irgendwo in seinen Taschen, aber sicher war das nicht. Daraufhin stellte er sich vor, wie er, nachdem er sich von Seil und Kette befreit hatte, durch den Gang des Schiffes lief, nach oben stieg, über die Reling sprang und ans Ufer schwamm. Zwar vermochte er sich das vorzustellen, aber es erschien ihm, als würde er sich einbilden, er könne fliegen.
Momentan konnte er sich nur noch auf sich selbst verlassen. Vielleicht vermochte er Grianne irgendwann tatsächlich von der Wahrheit zu überzeugen, doch langsam fand er sich damit ab, dass dies ziemlich unwahrscheinlich war. Sie wollte einfach nicht auf ihn hören. Sie wollte nicht glauben, dass er ihr Bruder war oder dass der Morgawr sie getäuscht hatte. Ihr ganzes Leben hatte sie Walker als Feind betrachtet, der ihr Zuhause niedergebrannt und ihre Familie getötet hatte. Daher hatte sie alles getan, um ihm nicht nur ebenbürtig zu sein, sondern ihm auch in seiner scheinbaren Unbarmherzigkeit das Wasser zu reichen. Sie hatte Taten begangen, mit denen sie wahrscheinlich nicht mehr leben konnte, sobald sie herausfand, wie sehr man sie manipuliert hatte. In ihre Rolle als Ilse-Hexe hatte sie sich zu sehr eingefunden, ein anderes Selbstbild würde sie nicht akzeptieren.
Er dachte einen Augenblick über die Frage nach, ob es bereits zu spät sei, sie zu retten, ob sie eine Grenze überschritten hatte, jenseits derer keine Rückkehr mehr möglich war, ob sie zu viele Gräueltaten begangen hatte, um Vergebung zu erlangen. Das lag durchaus im Bereich des Möglichen. Vielleicht hatte er sie einfach zu spät gefunden.
Dann dachte er zurück an die Nacht im Hochland, in der er Walker kennen gelernt hatte. Eigentlich hatte er das Angebot des Druiden, ihn auf dieser Reise zu begleiten, nicht annehmen wollen. Er hatte geahnt, wie sehr sich sein Leben dadurch verändern würde. Die Wirklichkeit war nun noch schlimmer, als er es sich hätte vorstellen können. Er fühlte sich nutzlos, zudem drohten ihn Gefühle zu zerreißen, die er niemals hatte erleben wollen. Am liebsten hätte er es gehabt, wenn alles wieder so gewesen wäre wie früher. Er wollte nach Hause. Er wollte einfach Sicherheit, für sich, für Quentin, für ihre Freunde. Außerdem wollte er wieder derjenige sein, für den er sich stets gehalten hatte, und nicht jemand, über den er eigentlich gar nichts wusste. Dieser Albtraum sollte endlich ein Ende haben.
Der Türriegel schnappte zurück, und die Tür öffnete sich knarrend. Drei Mwellrets traten ein und schlurften krumm und in ihre Roben verhüllt in die Mitte des Raums wie Schatten aus der Nacht. Keiner sagte ein Wort. Der letzte schloss die Tür hinter sich und drückte sich mit dem Rücken dagegen. Der zweite gesellte sich zu der anderen Wache, die an der gegenüberliegenden Wand saß. Der Anführer ging zu Bek, nahm die Kapuze ab und enthüllte sein Reptiliengesicht. Es war Cree Bega, der Mwellret, in dessen Hände Grianne seine Sicherheit gelegt hatte.
Cree Bega betrachtete den Jungen, ohne ein Wort zu sagen, mit harten, stechenden Augen. Bek versuchte, seinem Blick standzuhalten, aber das Starren des Mwellrets bereitete ihm Unbehagen. Schließlich sah er verlegen zur Seite.
Cree Bega streckte die Klauenfinger aus und entfernte den Knebel von Beks Mund. Er ließ das Tuch auf den Boden fallen und trat zurück. Zum ersten Mal seit Stunden konnte Bek frei atmen, allerdings roch er dabei auch die Mwellrets und ihren überwältigenden Kotgestank.
»Wer bisst du, Junge?«, zischte Cree Bega leise.
Er sprach abwesend, als erwarte er eigentlich keine Antwort, als handele es sich um eine Frage, die er einfach sich selbst stellte. In seiner Stimme schwang ein Zischen mit, das Bek schaudern ließ. Da er fürchtete, die Ereignisse würden von nun an nicht mehr nach dem Plan seiner Schwester verlaufen, versuchte er abermals, mit den Händen durch die Fesseln zu schlüpfen.
Doch Cree Bega bemerkte die Bewegung, ging auf ihn zu und stieß ihn seitlich zu Boden. Daraufhin zog er den Jungen wieder in eine sitzende Position hoch und rammte ihn gegen die Wand.
»Ess gibt keinen Aussweg für den kleinen Menschen«, wisperte er, »keinen Aussweg vor unss!«
Bek schmeckte Blut im Mund und schluckte es. Er schaute den Mwellret unverwandt an. Cree Bega kniete sich langsam vor ihn, bis er mit dem Jungen auf Augenhöhe war.
»Denksst vielleicht, ssie kommt und rettet dich? Ilsse-Hexxe, sso mächtig, sso sstark, keine Angsst vor gar nichtss? Sssst! Dumme kleine
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