Shannara VIII
nicht hinnehmen, dass er allem so machtlos gegenüberstand. Auch ohne sein Glück und auch, wenn er aufgrund dessen zum Scheitern verurteilt war, würde er einen Weg finden, den anderen zu helfen. Das war die Bürde, die er sich auferlegt hatte: Solange er lebte, würde er alles tun, um sie, diese elf Männer und Frauen, die noch übrig waren, sicher nach Hause zu führen. Wenn er nur diese Wenigen retten könnte, würde es ihm ein bisschen Seelenfrieden geben. Und weil eine von ihnen seine Schwester und ein anderer der Junge war, den sie liebte, wurde diese selbstauferlegte Pflicht noch vordringlicher. Aber alle waren seine Freunde und Kameraden, und diese Aufgabe zu erfüllen war einfach ein Muss.
Plötzlich spürte er jemanden neben sich, und als er sich umdrehte, stand Bek Ohmsford da. Er war so überrascht, vielleicht, weil er gerade an ihn gedacht hatte, dass er einen Augenblick lang kein Wort herausbrachte.
»Er wird nicht herauskommen«, sagte Bek und deutete mit dem Kopf zur Burg. Auf seinem jungen Gesicht hatte sich ein ernster Ausdruck gebreitet, als würde er über düstere, komplizierte Dinge nachdenken. »Du brauchst dir keine Sorgen zu machen.«
Alt Mer folgte seinem Blick zu den Ruinen. »Woher weißt du das?«
»Weil er mir nicht gefolgt ist, als wir beim letzten Mal hier waren und den Schlüssel gestohlen haben. Er kommt nicht aus den Mauern.« Er hielt inne. »Ich glaube, er kann überhaupt nicht heraus. Sein Einfluss endet am Rand der Ruinen.«
Der Fahrende dachte darüber kurz nach. »Er hat uns auch nicht belästigt, als wir die Ruinen durchsucht haben, oder? Sondern die Magie hat Wege und Wände verändert, so dass wir nichts finden konnten.«
Bek nickte. »Bestimmt wird er uns nicht belästigen, wenn wir hier draußen bleiben. Sogar, wenn wir in die Ruine gehen, wird er uns vielleicht nichts tun, solange wir nicht versuchen, etwas mitzunehmen.«
Schulter an Schulter standen sie einen Augenblick da, starrten in die Finsternis und lauschten der Stille. Eine dunkle, geflügelte Silhouette flog durch das Indigo des sternenklaren Himmels, ein Raubvogel auf Beutezug. Sie beobachteten ihn, wie er in weitem Bogen nach links abdrehte und schließlich im undurchdringlichen Schwarz der Bäume verschwand.
»Weshalb bist du hier oben?«, fragte Alt Mer. »Warum schläfst du nicht?«
Beinahe hätte er gefragt, warum er nicht bei Rue war, aber Bek hatte bislang über diese Sache nicht mit ihm gesprochen, und Alt Mer meinte, er selbst solle nicht den Anfang machen.
Bek schüttelte den Kopf und strich sich durch das zottelige Haar. »Ich kann nicht schlafen. Ich habe von Grianne geträumt und bin dann aufgewacht. Der Traum wollte mir etwas Wichtiges mitteilen, glaube ich, aber ich kann mich nicht mehr erinnern. Allerdings bin ich unruhig geworden und konnte nicht wieder einschlafen, daher bin ich nach oben gegangen.«
Alt Mer trat unbehaglich von einem Fuß auf den anderen. »Du kommst immer noch nicht an sie heran, ja? Die Kleine Rote auch nicht. Ich hätte niemals gedacht, dass sie es je versuchen würde, aber sie geht jeden Tag nach unten und setzt sich zu ihr.«
Darauf sagte Bek nichts, also ließ Alt Mer das Thema fallen. Langsam wurde er müde, und er wünschte, er hätte Kian nicht so voreilig in seine Koje geschickt.
»Bist du mir böse wegen Rue?«, fragte Bek plötzlich.
Alt Mer starrte ihn überrascht an. »Meinst du nicht, die Frage kommt ein bisschen spät?«
Bek nickte feierlich, erwiderte den Blick aber nicht. »Ich möchte nicht, dass du wütend auf mich bist. Das ist für uns beide wichtig.«
»Die Kleine Rote hat schon vor langer Zeit aufgehört, mich um Erlaubnis zu bitten«, antwortete Alt Mer ruhig. »Es ist ihr Leben, nicht meines. Ich werde ihr nicht vorschreiben, wie sie es führen soll.«
»Heißt das, du bist einverstanden?«
»Es heißt…« Verwirrt hielt er inne. »Ich weiß nicht, was es heißt. Es heißt, ich weiß nicht. Ich mache mir einfach Sorgen, wie es weitergehen wird, wenn ihr nach Hause kommt und eine Entscheidung über eure Zukunft treffen müsst. Ihr gehört verschiedenen Völkern an und habt bisher unterschiedliche Leben geführt.«
Bek dachte darüber nach. »Vielleicht brauchen wir unser altes Leben nicht weiterzuführen. Wir könnten ein neues anfangen.«
Alt Mer seufzte. »Weißt du was, Bek? Du kannst tun, was du willst, wenn du es dir nur fest vornimmst. Daran glaube ich. Wenn du sie so sehr liebst, wie
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