Shannara VIII
was es bedeutete, dass der letzte Druide gestorben war. Paranor war unbewohnt und leicht zu erobern - gewiss, ja, es wurde durch Magie beschützt, doch er, der dieser Magie seine eigene entgegensetzen konnte, konnte es betreten. All die Jahre hatte Walker ihn fern gehalten. Jetzt würde sein werden, was dem Druiden gehört hatte.
Der Morgawr gestattete sich ein Lächeln. Das Rad hatte seine Drehung vollendet, was die Druiden betraf. Ihre Zeit war vorüber. Seine noch lange nicht. Er brauchte sich nur dieses kleinen Mädchens zu entledigen. Ilse-Hexe hin oder her, genau das war sie: ein kleines Mädchen.
Vor ihm ragten die zerfallenen Mauern und Zinnen der uralten Burg in den Sonnenaufgang, kahl und mächtig. Seine Vorfreude auf das, was ihn im Inneren der Ruine erwartete, drängte ihn, seine Schritte zu beschleunigen.
Kapitel 59
Gemächlich schritt Grianne Ohmsford durch die leeren Gänge und Höfe der alten Burg und nahm sich die Zeit, ihre Gedanken zu sammeln. Im Gegensatz zu dem, was sie Bek und Rue Meridian glauben gemacht hatte, war ihre Entscheidung, sich dem Morgawr allein zu stellen, impulsiv getroffen und nicht besonders gut durchdacht, wenn auch nichtsdestoweniger aus den genannten Gründen unverzichtbar. Sie war diejenige, die er wollte, und deshalb musste sie ihm entgegentreten. Außerdem hatte sie als Einzige eine Chance gegen seine Magie. In ihrem Leben als Ilse-Hexe hatte sie viel Leid verursacht, und jede Sühne für ihre Untaten musste damit beginnen, mit dem Zauberer abzurechnen.
Von der langen Katatonie war sie geschwächt, doch Wut und Entschlossenheit trieben sie an. Sie hatte die Wahrheit über ihr Leben deutlich vor Augen, die Bilder, die die Magie des Schwertes von Shannara hell und klar beschworen hatte. Diese Wahrheit bestimmte ihr Sein, und das Wissen, was sie gewesen war, ermöglichte ihr zu erkennen, zu was sie werden musste. Um diese Reise zu vollenden, musste sie den Morgawr vernichten.
Stille hüllte sie wie ein Leichentuch ein, und die Ruinen versprühten die Aura einer Gruft. Bei diesem Gedanken lächelte sie, eine vertraute und immer noch willkommene Atmosphäre, denn so war viele Jahre ihre Welt gewesen. Schatten von Mauern und Türmen, wo das Sonnenlicht nicht hingelangte, überzogen geborstene Steine und rieselnden Mörtel wie Tinte. Voller Behagen ging sie durch diese Schatten, die Dunkelheit war ihr Freund, das Erbe ihres Lebens. Das würde sich niemals ändern, wurde ihr plötzlich bewusst. Solche Umgebungen würde sie stets vorziehen, weil sie sich dort sicher fühlte. Unter Bedingungen, bei denen andere zugrunde gegangen wären, hatte sie ein Heim gefunden, und zwar, nachdem man ihr alles genommen hatte, was ihr etwas bedeutete, und nur Wut geblieben war. So leicht würde sie die Vergangenheit nicht hinter sich lassen.
Daran würde sich nichts ändern, auch wenn sie diesen Tag überlebte. Bek malte sich aus, sie würden heimkehren, eine neue Familie bilden und ein ruhiges Leben führen. Doch seine Vision übte auf sie keine große Anziehungskraft aus und gründete auf seinen Träumen, nicht den ihren. Ihr Leben würde eine Richtung einschlagen, die damit nichts gemeinsam hatte, so viel wusste sie bereits. Ihr Weg führte nicht dorthin, wo Bek hoffte, weil die Gründe für ihre Genesung nicht so sehr bei ihm lagen - obwohl er sie geweckt hatte, was niemandem sonst gelungen wäre -, sondern beim Dunklen Onkel, dem Hüter der Geheimnisse, jenem, der Zuversicht schenkte. Bei Walker Boh.
Der nun tot war und doch immer bei ihr.
Sie begann zu summen und passte sich dem Wesen der Ruinen und des Geistes an, der hier lebte. Im Augenblick schlief er, doch durchdrang er sein Reich so intensiv wie Antrax seines. Der Geist war überall gleichzeitig, eine Präsenz, die dem harten Stein und der toten Luft innewohnte. Von Bek wusste sie, dass man ihn täuschen konnte, indem man ihm das Gefühl vermittelte, man gehöre hierher. Jetzt würde sie anfangen, sich darum zu bemühen. Sobald sie sich vollkommen eingefügt hatte und einfach als ein Stück Schutt akzeptiert worden wäre, würde sie bereit sein, sich mit ihrem Gegner zu beschäftigen.
Es dauerte ein wenig, die Erscheinung zu schaffen, die sie brauchte, die Maske, die notwendig war. Sie bewegte sich vorsichtig durch die Gänge und lauschte auf die Geräusche, die der Morgawr und seine Rets verursachten. Inzwischen würden sie die Mauer erreicht haben und nach einem Weg ins Innere suchen. Ihr Plan war schlicht.
Weitere Kostenlose Bücher