Shannara VIII
mit Blicken duellierten und jede einen Teilbesitz beanspruchte, den die andere ebenfalls wollte, aber niemals einfordern konnte. Einen Teil der Vergangenheit. Einen Teil der Zukunft. Zeit und Ereignisse würden bestimmen, wie viel sie miteinander teilen konnten, doch bestand im Augenblick die Notwendigkeit einer Einigung, und weder die eine noch die andere war gut darin, Kompromisse zu schließen.
»Vielleicht solltest du den Rest der Mannschaft kennen lernen«, schlug Bek leise vor.
Der Neuanfang in dieser Situation, dachte er, würde sicherlich schwieriger werden als das Ende des Vorangegangenen.
In der Dämmerung standen sie, Bek, Grianne und Rue, zusammen im Schutz einer der Turmruinen, ganz oben im obersten Stockwerk, von wo sie über die Burg hinweg zur Küste schauen und beobachten konnten, wie langsam Bewegung in die Luftschiffe des Morgawrs kam. Inzwischen hatte Bek Grianne allen an Bord vorgestellt, und sie war mit einem hohen Grad an Anerkennung begrüßt worden, was er nicht erwartet hätte. Wenn er ehrlich war, so hatte sich Rue am feindseligsten benommen. Die beiden Frauen führten eine kämpferische Auseinandersetzung miteinander, in deren Mittelpunkt er stand, von der er jedoch ansonsten wenig begriff. Da er ihre wechselseitige Geringschätzung nicht beeinflussen konnte, versuchte er zumindest, den Frieden zu wahren.
Jenseits der grünen Grasfläche waren die Luftschiffe sichtbar im klaren Licht der aufgehenden Sonne, die einen wunderschönen Tag verhieß. Bek erkannte die hölzernen Gestalten der wandelnden Toten, die auf ihren Posten standen und die Befehle erwarteten, die sie in Bewegung setzen würden. Er sah die Mwellrets, wie sie durch die Luken an Deck kamen, in Mantel und Kapuze, um sich vor dem Licht zu schützen. Und vor allem erblickte er den Morgawr, der vorn am Bug der Schwarzen Moclips stand und suchend zu den Ruinen hinüberschaute, in denen sie sich verbargen.
»Du hast Recht gehabt«, sagte Grianne leise und umklammerte ihre Robe über dem schlanken, steifen Leib. »Er weiß, wo wir sind.«
Die übrigen Männer von der Jerle Shannara hatten sich unten im Rumpf und in den Pontons des Schiffes versteckt und warteten ab, was passieren würde. Alt Mer wusste, was Bek befürchtete, doch er konnte nichts an ihrer Situation ändern. Die Jerle Shannara war nicht flugfähig, solange sie nicht Masten und Segel aufbauten, und der Lärm, der damit verbunden war, hätte sie verraten. Auch wenn der Morgawr die Burgruine durchsuchte, hieß das noch lange nicht, dass er sie entdecken würde, denn der Geist konnte ihm mit seiner Magie den Eintritt verwehren und ihn immer wieder nach draußen führen, ganz so wie er es seinerzeit bei Walker getan hatte. Damit gingen sie ein großes Wagnis ein; falls sie Pech hatten, saßen sie in der Falle. Dann würde ihnen nur die Flucht gelingen, wenn sie ihre Feinde überwältigen könnten, wobei ihnen zurzeit schleierhaft war, wie sie das anstellen sollten.
Bek hatte kein gutes Gefühl, was ihre Erfolgsaussichten betraf. Seiner Meinung nach würde sich der Morgawr durch die Magie des Geistes nicht beirren lassen. Der Zauberer hatte sie bis hierher verfolgt, ohne eine sichtbare Spur zu haben. Er schien genau zu wissen, dass sie sich in der Ruine versteckt hatten. Wenn er zu all dem in der Lage war, würde er rasch erkennen, wie der Geist ihn narrte, wenn er in die Burg eindrang, und vermutlich würde er eine Möglichkeit finden, dagegen vorzugehen.
In diesem Fall mussten sie sich ihm stellen.
Er sah Grianne an. Sie hatte Rue keine Antwort auf die Frage gegeben, wie sie den Morgawr aufzuhalten gedachte. Eigentlich hatte seine Schwester kaum etwas gesagt außer den Floskeln, die sie mit jenen wechselte, denen sie vorgestellt wurde. Sie hatte niemanden mehr danach gefragt, ob er ihr verziehen habe. Auch hatte sie sich nicht für das Leid, das sie verursacht hatte, entschuldigt. Die Milde und die Verletzlichkeit, die sie bei ihrem Erwachen gezeigt hatte, war verschwunden. Ihre Persönlichkeit hatte sich wieder die Eigenschaften der Ilse-Hexe zugelegt, Kälte, Distanziertheit und Gefühllosigkeit, sie behielt ihre Gedanken für sich und die Menschen, denen sie begegnete, auf Abstand.
Das bereitete Bek einerseits Kopfzerbrechen, andererseits hatte er Verständnis dafür. Sie musste sich selbst schützen, indem sie die Gefühle verdrängte, welche sie sonst zerstört hätten. Keineswegs war es so, dass sie nichts mehr fühlte oder nicht
Weitere Kostenlose Bücher