SHANNICE STARR (German Edition)
vermuten lassen, welche Tragödie sie bis hierhin durchgemacht hatte.
Unbemerkt war es ihr gelungen, ihre Kleidungsstücke und die Waffen einzusammeln. Auch Conaghans Mordwerkzeug hatte sie eingesteckt. Da sie in ihrem Zustand keine Auseinandersetzung mit Steamboat Jack hatte provozieren wollen, war sie nach draußen geschlichen, wohl wissend, dass ihre Flucht in jedem Moment entdeckt werden konnte.
Noch während sie wie von Furien gehetzt nackt und mit einem Kleiderbündel unter dem Arm durch den Stollen gehetzt war, hatte sie das Grollen Steamboat Jacks vernommen. An der Gabelung war die Cheyenne gleich links um die Ecke in den nächsten Gang gestürmt und hatte nicht aufgehört zu laufen, bis sie wenigstens halbwegs der Meinung gewesen war, genügend Abstand zwischen sich und ihren Verfolger gebracht zu haben.
Nun saß sie in einem Felsspalt, der ihr kaum genügend Platz bot, horchte in die Finsternis und hielt zitternd ihren Remington in den Händen.
Er hat aufgegeben!, hallte der Gedanke durch ihren Kopf. Aber er wird wiederkommen. Mit den anderen.
Entkräftet, hungrig und angefüllt mit Abscheu legte sie den Colt zur Seite. Erstmals fand sie Zeit, ihren Körper zu inspizieren. Verkrustete Blutrinnsale hatten abstrakte Muster auf ihrer Haut hinterlassen, aber es gab noch genügend feuchte und schimmernde Stellen, die erst allmählich trocknen würden. Tastend glitten ihre Fingerkuppen über das lange Haar, das einst locker und seidig gewesen war. Jetzt war es strähnig und hart wie Holz.
Shannice erinnerte sich an den Kratertümpel und die Wasserbecken. Die Stelle war nicht weit entfernt, und sie musste sich dringend reinigen. Sie schätzte, dass ihr genügend Zeit blieb, sich zu waschen und ihren geschundenen Leib zumindest ansatzweise zu regenerieren. Für einige Augenblicke überlegte sie, in die Geisterstadt Hebron zurückzukehren, sich ihren Hengst zu schnappen und das Weite zu suchen. Doch ständig hatte sie das Bild des ausgeweideten Sheriffs vor sich, und auf schwer zu beschreibende Weise fühlte sie sich ihm verbunden. Fast war er wie ein Freund, wenigstens aber ein Kamerad im Kampf. Sein entsetzlicher Tod durfte nicht ungesühnt bleiben!
Shannices Finger schlossen sich um den Griff des Remington und rissen die Waffe ungestüm hoch. Zufrieden stellte die Cheyenne fest, dass ihr Arm nicht mehr zitterte.
Aber ihr werdet zittern!, bedachte sie Conaghan und seine Anhänger mit einem Blutschwur. Dafür stehe ich mit meinem Leben ein!
Völlig außer Atem stolperte Steamboat Jack die Stufen der ausladenden Treppe hoch, die zu den Privaträumen von Miles Conaghan führte. Der Einäugige hatte seinen Boss bereits im Versammlungsraum und bei den Ställen gesucht und sah nun keine andere Möglichkeit mehr, als ihn an jenem Ort zu stören, an dem er es am wenigsten tolerierte.
Erst leise, dann fordernder klopfte er an Conaghans Tür und scherte sich nicht um das wenig verhaltene Luststöhnen, das an sein Ohr drang. Ihn wunderte es lediglich am Rande, dass sich die beiden gleich nach ihrer perversen Tötungsorgie zum Liebesspiel gefunden hatten.
Eine Minute mochte vergangen sein, bis die Tür sich öffnete. Judy Garrett stand darin, nur bekleidet mit einem durchsichtigen Seidenhemd, das sie offen trug und das ihre Brüste mehr enthüllte, als dass es sie verdeckte. Doch dafür hatte Steamboat Jack keinen Blick, denn aus Judy Garretts Augen sprühte ein Feuer, das kein Geheimnis daraus machte, was die Frau gerade dachte.
»Die Indianerhure ist entkommen!«, stieß Steamboat Jack hervor. »Ich war einen Moment abgelenkt, und da muss sie entwischt sein!«
In Judy Garretts Gesicht spiegelte sich Verachtung. Bevor sie jedoch antworten konnte, meldete sich aus dem Hintergrund Miles Conaghan.
»Eine halb tote Frau ist dir durch die Lappen gegangen, weil du eine Sekunde nicht aufgepasst hast?«, blaffte er wütend. »Hältst du mich für so bescheuert, Jack, dass ich dir diesen Schwachsinn abkaufe?«
»Es ist wahr!«, beharrte der Einäugige. »Ich bin ihr nachgerannt, aber sie muss irgendwo in den Stollen untergetaucht sein.«
Conaghan hatte sich einen Morgenmantel übergezogen und drängte sich an seiner Geliebten vorbei. Sein Zorn hielt sich in Grenzen, auch wenn er es genoss, dass seine Leute vor ihm kuschten.
»Abgesehen davon, dass ich Männer schon aus weitaus geringerem Anlass wie wertlose Tiere über den Haufen geschossen habe«, holte Conaghan aus, »sehe ich dir dein Versagen nach. Ich
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