SHANNICE STARR (German Edition)
auf das Schild warf. An der abweisenden Haltung des Mannes änderte sich auch dann nichts, als Shannice nur noch wenige Meter von ihm entfernt war.
»Ich sagte doch, dass wir keine Pferde haben«, wiederholte er barsch.
»Aber vielleicht haben Sie etwas zu essen.« Shannice nahm den Mann ein wenig genauer unter die Lupe. Nach der Haltung der Finger seiner rechten Hand zu urteilen, hatte er sich eine nicht unerhebliche Verletzung zugezogen. Einen Revolver würde er nicht mehr halten können, was aber nichts darüber aussagte, ob er nicht womöglich ein ausgezeichneter Linksschütze war.
»Wir sind nicht auf Gäste eingerichtet«, hörte Shannice den Mann sagen. Dann verhielt er einen Moment und lauschte nach hinten. Undeutlich klangen aus dem Innenraum Worte herüber, die Shannice allerdings nicht verstand. Kurz danach aber änderte der Mann seine Meinung schlagartig.
»Verzeihen Sie«, entschuldigte er sich in eigentümlicher Höflichkeit. »Natürlich können Sie bei uns eine Mahlzeit einnehmen.« Er nahm seinen Hut vom Kopf und stellte sich vor: »Ich bin Henry McPherson. Die Wechselstation gehört meinen Eltern.«
»Shannice Starr«, nannte die Cheyenne ihren Namen. »Kann ich mein Pferd zur Futterkrippe bringen? Es ist ziemlich ausgehungert nach dem weiten Ritt.«
»Sie sind nicht von hier?«, erkundigte Henry sich lauernd und in einer Lautstärke, dass auch die vermeintlichen Personen im Innern des Gebäudes es hören konnten.
»Ich habe einen weiten Ritt hinter mir. Eigentlich wollte ich noch keine Rast einlegen, aber eine solche Gelegenheit will ich mir nicht entgehen lassen. Wer weiß, wann sich eine weitere Möglichkeit bietet.«
»Sicher«, entgegnete Henry McPherson. »Im weiteren Umkreis werden Sie kaum eine Unterkunft finden.«
Erneut sah Shannice zur Kutsche. »Ihre Station ist hoffentlich nicht überfüllt, und ich bereite Ihnen Unannehmlichkeiten?«
»Nein.« Henry schien nach einer Erklärung zu suchen. »Wir haben keine Besucher. Sie sind der einzige Gast.«
Irritiert hob Shannice die Brauen. Ein unbestimmtes Gefühl verriet ihr, dass McPherson ihr nicht die volle Wahrheit gesagt hatte.
»Kommen Sie herein«, setzte Henry eine Spur zu schnell an. »Meine Schwester wird Ihnen etwas am Herd zubereiten.«
Die ganze Zeit während des Essens hatte sich Shannice unwohl gefühlt. Im Kreise der McPhersons, die sie wie Beutegeier am Tisch umringt hatten, war sie sich vorgekommen, als stünde sie unter ständiger Beobachtung. Besonders der sezierende Blick der alten Ruth McPherson bereitete ihr Unbehagen, und so schlang sie ihre Mahlzeit hinunter und zog sich auf ihr Zimmer im ersten Stock zurück. Nur einige Stunden Ruhe wollte sie sich gönnen und dann weiterreiten, sobald die Dunkelheit hereingebrochen war.
Als die Familie allein und ungestört war, ergriff Henry als Erster das Wort.
»Warum hast du die Kutsche nicht hinters Haus gebracht?«, schimpfte er und starrte seinen Schwager Garth Gormick an. »Die Lady hat zu viel gesehen und stellt unangenehme Fragen.«
»Ich hab doch schon die Pferde in den Stall gebracht«, maulte Garth. »Was soll ich denn noch alles machen …?«
Eine Weile ging das Wortgefecht weiter, bis Ruth mit ihrer Hand eine schneidende Bewegung durch die Luft machte.
»Ihr benehmt euch wie bockige Gören!«, rief sie aus. »Achtet auf eure Worte! Die Rothaut bekommt sonst noch alles mit.« Einige Sekunden herrschte Stille, bevor die alte Frau fortfuhr. »Störungen im Geschäftsbetrieb können wir uns nicht leisten! Ich habe das alles nicht mit eurem Vater aufgebaut, um es mir wegen eurer Einfalt wegnehmen zu lassen.«
»Die Braut will doch sowieso nachher wieder abhauen«, warf der Dean ein.
»Damit sie überall erzählt, was sie hier gesehen hat, Kindskopf!«, folgte die prompte Erwiderung seiner Mutter. »Werd’ endlich erwachsen! Du und Henry wisst, was zu tun ist …«
Henry McPherson stieß die Luft aus und knallte die Handflächen auf den Tisch.
»Du hast Ma gehört«, wandte er sich an seinen kleinen Bruder. »Hol Spitzhacke und Schaufel. Ich gehe nach oben und kümmere mich um das Weib.«
Dean McPherson grinste. »Der Kutscher und der Bankier können ein bisschen Gesellschaft gebrauchen.«
Ungehalten winkte Henry ab. »Spar dir die dummen Witze! Tun wir unseren Job. Ich will vor dem Abendessen fertig sein.«
Aus seiner Hosentasche kramte er eine dünne Schlinge hervor. Gleichmütig schritt er die Treppe zu den Gästezimmern
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