SHANNICE STARR (German Edition)
empor …
16
Ein Grab für Shannice
»Warte!«
Ruth McPhersons Stimme klang gedämpft, hatte jedoch nichts von ihrer Schärfe verloren. Mitten in der Bewegung blieb Henry auf den Stufen der Treppe stehen.
»Die Kleine läuft uns vorerst nicht weg«, fuhr die alte McPherson fort, als ihr ältester Sohn durch die Tür den Küchenraum betrat. »Zuerst müssen wir herausfinden, ob schon jemand die Kutsche und ihren Passagier vermisst. Dazu werden du, Garth und Dean nach Goodland reiten. Ihr sollt euch unter die Leute mischen, sie aushorchen und mir Informationen liefern.«
»Bis wir da sind, ist es Nacht«, widersprach Henry. »Wen sollen wir da noch ausquetschen?«
»Stell dich nicht dümmer als du bist!«, fuhr ihn seine Mutter an. »Geht in die Saloons, schmeißt ein paar Runden Drinks. Alkohol lockert die Zunge.« Ruth warf einen scharfen Blick auf ihren Schwiegersohn Garth. »Damit kennst du dich doch aus, nicht wahr?«
»Ich will jetzt nicht mehr rausreiten!«, meckerte Gormick.
»Was du willst und was du tun wirst sind zwei völlig verschiedene Paar Schuhe, mein Freund.« Ruth McPherson hatte derart viel Gewicht in ihre Worte gelegt, dass der junge Garth unweigerlich jeden Widerstand aufgab. Wie immer.
»Wir machen was los in Goodland. Ist doch klar!«, warf Dean ein.
»Ich bin verheiratet«, erwiderte Garth und suchte aus den Augenwinkeln den Blick seiner Frau.
»Weißt schon, was ich meine.« Dean McPherson zwinkerte ihm vieldeutig zu. Seine Mutter hieb, wie sie es stets zu tun pflegte, wenn sie die ungeteilte Aufmerksamkeit der Familie wünschte, mit der flachen Hand energisch auf den Tisch. Es war ein Schlag, der auch Henry zusammenzucken ließ.
»Ihr schnattert wie die Hühner!«, rief sie laut, ohne Rücksicht darauf, dass Shannice aufwachen mochte. »Besser, ihr beeilt euch, damit ihr das rote Luder noch vor dem Morgengrauen unter die Erde bringt.«
Dean McPherson machte ein mitleidiges Gesicht. Offenbar behagte ihm der Gedanke nicht mehr, Shannice kaltblütig umzubringen. »Verdammt hübsches Girl.
Die biestige, alte Ruth McPherson ließ sich nicht umstimmen. »Sie ist eine Rothaut. Das allein ist schon Grund genug, ihr das Lebenslicht auszupusten. Gott segne den Tag, da Amerika von diesen Wilden gesäubert ist.«
»Brechen wir auf!«, trieb Henry seinen jüngeren Bruder an.
»Du bleibst!«, befahl die alte McPherson.
»Aber du hast gesagt, ich –«
Seine Mutter schnitt ihm das Wort ab. »Ich habe es mir anders überlegt! Schaff die Kutsche vom Gelände und hinter die Scheune. Und leg die Schlinge weg! Das regeln wir auf meine Art.«
»Wie du meinst.« Henry ließ das Mordinstrument in einer Jackentasche verschwinden und nickte Dean und Garth zu. »Schwirrt ab, Jungs!«
Noch während die jungen Burschen ihre Colts anlegten und zur Tür eilten, streiften Henry McPhersons Augen den Blick seiner Mutter. Eisige Kälte war darin zu lesen.
Er fragte sich, was sie mit der indianischen Reisenden vorhatte.
Ihm schwante nichts Gutes.
Draußen auf der Veranda, gleich gegenüber den Ställen, stellte sich Jill Gormick in einer verzweifelten Geste ihrem Mann in den Weg.
»Überlege dir genau, was du tust!«, zischte sie ihm zu, obwohl sie wusste, dass ihr kleiner Bruder dennoch jedes Wort verstand. »Wir haben Pläne gemacht, Garth. Du weißt, dass wir von hier weg wollen, um unser eigenes Leben zu leben!«
»Hey, Baby«, grinste Garth Gormick zurück, ließ einen leicht überheblichen Gesichtsausdruck erkennen, auch, um Dean zu signalisieren, dass er Herr der Lage war. »Keine Panik! Wir reiten bloß in die Stadt und klopfen einige Leute ab. In ein paar Stunden sind wir zurück.«
Dean erwiderte das Grinsen und nickte. »Ich sattle unsere Pferde, Garth.« Er schnalzte, als er sich an seine Schwester wandte: »Klopf ihn nicht weich, Jill. Ein Mann muss tun, was ein Mann tun muss.«
Jill schickte ihm einen verständnislosen Blick hinterher. Er änderte sich auch nicht, als sie wieder ihren Mann ansah. »Glaubst du das auch? Glaubst du auch an diesen Unsinn …?«
»Dean ist in Ordnung«, sagte Garth kurz angebunden. »Ich mag ihn, und er mag mich. Was ist daran verkehrt?«
»Es geht nicht darum, ob ihr euch sympathisch seid oder nicht«, ereiferte sich Jill. »Es sind diese Parolen. Es ist diese Familie …«
» Deine Familie«, stellte Garth richtig. »Ohne Dean wäre sie unerträglich.«
»Verdammt!«, regte sich Jill auf. »Meine Mutter ist eine Tyrannin,
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