SHANNICE STARR (German Edition)
Treppe zu begeben und hinunterzugehen. Lindsay stieß Shannice derb mit dem Lauf ihres Gewehrs an. Obwohl die Cheyenne der festen Überzeugung war, einen kleinen Aufschub ihrer Hinrichtung bewirkt zu haben, blieb doch das unstete Gefühl, Ruth könne ihre Meinung schlagartig ändern und sie und Onatoga hinterrücks niederschießen …
Der Keller bestand aus unübersichtlichen Nischen, Ecken und Winkeln und einer Vielzahl kleiner Räume. Auf Shannice wirkte er, als wäre er tatsächlich größer, als das Gebäude darüber. Sie wurde gemeinsam mit Onatoga von Ruth und Lindsay in einen kleinen Verschlag gedrängt, in dem feuchtes Stroh lag und allerlei Gerümpel. Als die Tür des kleinen, engen Raums zufiel, wurde es stockdunkel. Erst bei Einbruch des Tages würde durch ein vergittertes Fensterloch ein wenig Sonnenlicht einfallen.
»Du hast dich sehr ruhig verhalten«, sagte Shannice zu dem Choctaw, als sie alleine waren.
»Es gab nichts zu sagen«, erwiderte Onatoga. »Worte werden uns nicht herausbringen, allein Taten vermögen dies.«
»Die Tür ist massiv. Kein Denken daran hindurchzukommen.«
»Wir warten auf eine andere Gelegenheit«, ließ der Krieger verlauten. »Sie wird mit ebensolcher Sicherheit kommen wie die aufgehende Sonne.«
»Ich bin müde und hungrig«, meinte Shannice, »aber ich werde nicht einschlafen können. Nicht, so lange ich nicht weiß, wie es weitergeht.«
»Du brauchst aber Ruhe«, antwortete Onatoga. »Vorerst wird man uns kein Leid zufügen.«
»Mir gefällt das alles nicht. Ich war schon zu oft in Situationen wie dieser und bin nur um Haaresbreite entkommen. Irgendwann reißt jede Glückssträhne ab.«
»Nicht Glück ist es, das dich überleben lässt.« Der Choctaw-Indianer sah Shannice tief in die Augen. »Kraft findest du nur in dir selbst. Sie hilft dir, dein Schicksal zu ertragen.«
»Wieso komme ich nur immer in einen solchen Schlamassel?«, fragte Shannice hilflos. »Dafür muss es doch einen Grund geben …!«
»Du bekommst, was du verdienst«, erwiderte Onatoga knapp.
»Heißt das, ich bin für diese nicht enden wollende Misere selbst verantwortlich? Willst du das damit sagen?«
»Gewalt schürt Gewalt. Ein friedliebender Mensch erlebt in den seltensten Fällen Derartiges.«
»Warum bist du dann hier? Du hast niemandem etwas getan.«
Onatoga ließ sich Zeit mit seiner Antwort, obwohl diese feststand. »Du lebst in einer Welt der Gewalt und übst diese auch aus. Ich habe mich dir angeschlossen und bin dabei ebenfalls in den Strudel der Gewalt geraten. Ich sehe darin kein ungünstiges Schicksal, sondern die Verwirklichung meiner Entscheidung. In diesem Fall habe ich mich für die Gewalt entschieden.«
»Nicht alle Menschen entscheiden sich dafür und erleben trotzdem Schreckliches.«
»Weil sie wenige sind, die gegen den Willen vieler nicht ankommen. Sieh es nicht als Bestrafung an. Sieh es als Ergebnis einer Entscheidung, die du nicht beeinflussen kannst. Richte nicht über das, was dir widerfährt. Betrachte es als Entwicklung deiner Seele. Sie freut sich über alle Erfahrungen, die du machst, egal wie schlimm sie dir erscheinen mögen.«
Shannice schüttelte den Kopf. »Das akzeptiere ich nicht. Ich will es nicht! Ich bin ich! Meine Seele dürstet nach Rache, das spüre ich mit jeder Faser meines Seins.«
»Es ist eine Illusion! Erst nach deinem Tod wirst du fähig sein, sie als solche zu erkennen.«
»Der Tod …«, murmelte Shannice. »Ich habe tatsächlich keine Angst davor, denn mir ist klar, dass er mich irgendwann holen wird. Furcht habe ich lediglich davor, wie es passieren wird.«
»Der Körper ist das Vehikel, mit dem die Seele sich bewegt. Seine Bedürfnisse sind nicht jene der Seele. Doch ein Mensch wird nur selten in der Lage sein, diesen Widerspruch zu durchschauen.«
»Kannst du es?«, fragte Shannice. »Hast du die Illusion durchschaut?«
»Jeder unseres Volkes kann das. Wir wissen, dass der Tod nicht das Ende ist, sondern ein neuer Anfang. Der Tod erst macht es möglich, Manitu direkt gegenüberzustehen. Daher empfinden wir keinen Schrecken. Daher währt die Trauer über den Tod eines geliebten Menschen nur kurz und wandelt sich in Freude. Freude darüber, dass die geliebte Person den Weg in den Himmel beschritten hat.«
»Eine schöne Philosophie«, gab die Cheyenne zu. »Aber letztendlich nur ein frommer Glaube.«
»Kein Glaube«, widersprach Onatoga. »Wissen.«
»Ich hoffe, ich erinnere mich an deine Worte, sollte es bei
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