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Shantaram

Shantaram

Titel: Shantaram Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory David Roberts
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liefen sie bis zum Schluss Kopf an Kopf. Wenn er sich auf die Bastmatten in seiner Hütte setzte, überkreuzte er die Füße, beugte die Knie und ließ sich ohne Zuhilfenahme seiner Hände nieder. Er war ein attraktiver Mann, dessen Schönheit zu einem Großteil aus seiner Vitalität und natürlichen Anmut erwuchs, die seine imponierende und inspirierende Weisheit ergänzten.
    Mit seinem kurzen silbergrauen Haar und seiner sonoren Stimme erinnerte mich Qasim oft an Khaderbhai. Später erfuhr ich, dass die beiden Männer sich gut kannten und sogar eng befreundet waren. Doch in mancher Hinsicht unterschieden sie sich beträchtlich; vielleicht am stärksten, was den Ursprung ihrer Autorität betraf: Qasims Macht war ihm von seinen eigenen Leuten verliehen worden, die ihn liebten und als ihren Führer erwählten. Khaderbhai dagegen hatte die Macht an sich gerissen und wahrte sie durch Willensstärke und notfalls mit Waffengewalt. Seine Macht war auch größer – die Slumbewohner hatten Qasim Ali zwar zu ihrem Oberhaupt bestimmt, doch es war Khaderbhai, der diese Wahl zugelassen und gutgeheißen hatte.
    Qasim wurde oft um Rat gebeten, denn im Alltag war er die einzige wirkliche Autorität im Slum. Er schlichtete Auseinandersetzungen, auch jene, die sich zu ernsten Konflikten ausgewachsen hatten. Er vermittelte bei gegensätzlichen Besitz- oder Umgangsansprüchen. Und viele holten sich immer und in allen Angelegenheiten seinen Rat, von der Arbeit bis hin zu Eheschließungen.
    Qasim hatte drei Frauen. Seine erste Frau, Fatimah, war zwei Jahre jünger als er. Die zweite Frau, Shaila, war zehn Jahre jünger. Und seine dritte Frau, Najimah, war erst achtundzwanzig. Seine erste Heirat war eine Liebesheirat gewesen. Die beiden anderen Frauen hatte er geheiratet, weil sie arme Witwen waren und sonst womöglich keinen neuen Mann gefunden hätten. Seine Frauen gebaren ihm insgesamt zehn Kinder – vier Söhne und sechs Töchter –, und die beiden Witwen hatten zudem fünf weitere Kinder in die Familie gebracht. Um den Frauen finanzielle Unabhängigkeit zu gewähren, kaufte er ihnen vier Nähmaschinen mit Fußantrieb. Seine erste Frau, Fatimah, stellte die Nähmaschinen unter einem Segeltuchdach vor der Hütte auf und beschäftigte erst einen, dann zwei, drei und schließlich vier Schneider, die Hemden und Hosen nähten.
    Das bescheidene Unternehmen warf den Lebensunterhalt der vier Schneider und ihrer Familien sowie einen kleinen Profit ab, der zu gleichen Teilen an die drei Frauen ging. Da Qasim sich nicht an der Betriebsführung beteiligte und sämtliche Haushaltskosten seiner Familie bezahlte, konnten seine Frauen das selbst verdiente Geld nach Belieben sparen oder ausgeben. Die Schneider kauften nach und nach Slumhütten in direkter Nachbarschaft zu Qasims Hütte, und ihre Frauen und Kinder lebten Seite an Seite mit seinen, sodass eine Großfamilie von vierunddreißig Leuten entstand, denen das Slumoberhaupt Vater und Freund war. Es war eine entspannte, zufriedene Gemeinschaft ohne Zankerei und Gereiztheit. Die Kinder spielten fröhlich miteinander und erfüllten ihre Aufgaben im Haushalt gern. Und mehrmals die Woche funktionierte Qasim den Hauptraum seine Hütte zum majlis um, einem Forum, wo die Slumbewohner Beschwerden vorbringen oder Bitten äußern konnten.
    Natürlich gelangten nicht alle Konflikte oder Probleme im Slum rechtzeitig zur Schlichtung zu Qasim Ali, und manchmal war er gezwungen, in diesem inoffiziellen, selbstregulierenden System auch die Rolle des Polizisten und Richters zu übernehmen. Eines Morgens etwa, ein paar Wochen, nachdem ich mit Abdullah im Slum der Leprakranken gewesen war, trank ich auf dem Platz vor Qasim Alis Haus Tee, als Jeetendra angerannt kam und berichtete, ein Mann verprügle seine Frau gerade derartig brutal, dass man um ihr Leben bange. Qasim Ali, Jeetendra, Anand, Prabaker und ich eilten durch die engen Gassen zu einer Hüttenreihe am Rand des Mangrovensumpfs, der den Slum an einer Seite begrenzte. Vor einer der Hütten hatte sich eine große Menschenmenge versammelt, und als wir näher kamen, hörten wir erbärmliches Geschrei und laute Schläge.
    Qasim Ali sah Johnny Cigar direkt neben der Hütte stehen und drängte sich durch die schweigende Menge zu ihm durch.
    »Was ist hier los?«, fragte er.
    »Joseph ist betrunken«, sagte Johnny verdrießlich und spuckte geräuschvoll in Richtung der Hütte aus. »Dieser bahinchudh prügelt seine Frau schon den ganzen Morgen.«
    »Den ganzen

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