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Shantaram

Shantaram

Titel: Shantaram Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory David Roberts
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oder man ist es nicht, und jeder weiß Bescheid. Und wenn die Messer gezückt werden – was häufig genug vorkommt –, wenn es darum geht, zu töten oder getötet zu werden, dann steht nur einer von hundert dir im Namen der Freundschaft bis zum Ende zur Seite.
    Im Gefängnis habe ich auch gelernt, diese außergewöhnlichen Männer zu erkennen. Ich wusste, dass Abdullah einer von ihnen war. Als Gejagter in der Verbannung, der sich Tag für Tag die Angst verbeißt, der Tag für Tag zum Kämpfen und Sterben bereit ist, waren die Kraft und Wildheit und Willensstärke, die ich in Abdullah fand, wichtiger und hilfreicher als alle Wahrhaftigkeit und Güte der Welt. Und wie ich da in meiner Hütte saß, von heißem weißem Licht und kühlenden Schatten gestreift, verband ich mich ihm als Bruder und Freund, ungeachtet dessen, was er getan hatte und wer er war.
    Ich blickte in Prabakers besorgtes Gesicht und lächelte. Er erwiderte das Lächeln sofort, und in diesem Moment außergewöhnlicher Klarheit erkannte ich, dass ich für Prabaker der Mensch war, der solche Zuversicht vermittelte: was Abdullah für mich darstellte, war ich für Prabaker. Freundschaft ist ebenfalls eine Art Arznei, und auch sie kann man manchmal nur auf dem Schwarzmarkt erwerben.
    »Keine Sorge«, sagte ich und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Es ist alles in Ordnung. Wirklich. Mir wird nichts zustoßen.«

E LFTES K APITEL
     

    Die langen, geschäftigen Tage, die ich damit zubrachte, im Slum zu arbeiten und den Touristen mit den diamantharten Augen Provisionen abzuringen, entfalteten sich einer nach dem anderen wie Lotusblüten in der Sommerdämmerung. Ich hatte immer ein wenig Geld für mich, manchmal sogar eine ganze Menge. Ein paar Wochen nach unserem ersten Besuch bei den Leprakranken kam ich eines Nachmittags mit einer Gruppe italienischer Touristen in Kontakt, die planten, auf großen Tanzpartys in Goa mit Drogen zu handeln. Mit meiner Hilfe erstanden sie vier Kilo Charras und zweitausend Mandrax-Tabletten. Mit Italienern machte ich besonders gern Geschäfte. Sie waren zielstrebig und systematisch, wenn es um ihr Vergnügen ging, und in ihrem Geschäftsgebaren bewiesen sie Stil. Außerdem waren sie in der Regel großzügig und hielten sich an den Grundsatz »gutes Geld für gute Arbeit«. Die Provision für diesen Job war so hoch, dass ich ein paar Wochen Pause machen konnte. Was mir gelgen kam, da ich im Slum alle Hände voll zu tun hatte.
    Es war inzwischen Ende April, in einem Monat begann der Monsun, und die Slumbewohner waren mit Vorbereitungen für die Regenzeit beschäftigt. Sie arbeiteten stetig und konzentriert. Wir wussten alle, was uns drohte, sobald der Himmel sich verdunkelte, doch die Stimmung in den Gassen war fröhlich, und auf den Gesichtern der Kinder zeichnete sich freudige Erregung ab, denn nach den heißen, trockenen Monaten sehnten wir uns alle nach Wolken.
    Qasim Ali Hussein ernannte Prabaker und Johnny Cigar zu Anführern zweier Teams, die Hütten von Witwen, Waisen, Behinderten und alleinstehenden Frauen reparieren sollten. Prabaker gewann einige willige Jungs als Helfer, mit denen er Bambusstangen und Bauholz von den Schutthaufen auf der Baustelle neben unserem Slum zusammentrug. Johnny Cigar wiederum organisierte Straßenkinder zu einer Bande, die plündernd und räubernd durch die Nachbarschaft des Slums zog und verwertbare Teile aus Blech, Segeltuch und Plastik herbeischaffte. Aus der direkten Umgebung der Slums verschwand alles mögliche Material, das sich zur Abdichtung eignete. Von einem besonders denkwürdigen Streifzug kamen die kleinen Langfinger mit einer riesigen Plane zurück, die, der Form nach zu urteilen, eindeutig zur Tarnung eines Panzers gedient hatte. Sie wurde in neun Teile geschnitten und zum Schutz ebenso vieler Hütten verwendet.
    Ich schloss mich einer Gruppe junger Männer an, die Abflussgräben und -rinnen frei machen sollten, in denen sich monatelang Dosen, Gläser und Plastikflaschen angesammelt hatten – alles, was die Ratten nicht fraßen und die Müllsammler nicht gefunden hatten. Es war schmutzige Arbeit, doch ich tat sie gern. Sie führte mich in sämtliche Winkel des Slums und brachte mich mit Hunderten von Menschen zusammen, die ich sonst nie kennen gelernt hätte. Außerdem war es eine verdienstvolle Tätigkeit: niedere, aber wichtige Arbeiten waren im Slum so hoch angesehen, wie sie außerhalb verachtet waren. Alle Teams, die halfen, die Hütten regensicher zu machen, wurden

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