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Shantaram

Shantaram

Titel: Shantaram Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory David Roberts
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diese Joseph«, vertraute Prabaker mir mit einem Flüstern an, das zwanzig Meter weit zu hören war. »Willst du noch welche Dinge, bevor ich gehe?«
    »Nein danke. Gute Nacht, Prabu.«
    »Shuba ratri, Lin«, erwiderte er grinsend. Gute Nacht. »Träumst du süße Sache für mich, ja?«
    Er wollte schon gehen, doch ich hielt ihn auf.
    »Hey, Prabu.«
    »Ja, Lin?«
    »Sag mal, was ist deiner Meinung nach Leid? Was bedeutet es, dass Menschen leiden?«
    Prabaker spähte ins Dunkel zwischen den windschiefen Hütten, wo das Glühwürmchen von Josephs Laterne entschwebte. Dann sah er wieder mich an, wobei nur seine Augen und seine Zähne sichtbar waren, obwohl wir ziemlich dicht zusammenstanden.
    »Fühlst du dich prima gut, Lin?«
    »Ja, klar.« Ich lachte.
    »Hast du getrunken an heute diese Abend Daru, ja? Wie diese Sauf-Bursche Joseph?«
    »Nein, mir geht’s gut, wirklich. Komm, du erklärst doch sonst immer alles für mich. Wir haben heute Abend über das Leid geredet, und mich interessiert einfach, was du darüber denkst.«
    »Das ist leicht – leiden ist es Hunger haben, ja? Hunger nach alles, das ist leiden. Nicht hungrig nach irgendwas, heißt das nicht leiden. Aber weiß das doch jeder.«
    »Ja, wahrscheinlich schon. Gute Nacht, Prabu.«
    »Gute Nacht, Lin.«
    Er spazierte singend davon, wohlwissend, dass das niemanden in den armseligen Hütten ringsum stören würde. Wer aufwachte, würde einen Augenblick lauschen und dann lächelnd wieder einschlummern, denn Prabaker sang über die Liebe.

F ÜNFZEHNTES K APITEL
     

    W ach auf, Lin! Hey, Linbaba, du musst aufwachen!«
    Ich schlug ein Auge auf und erblickte einen schwebenden braunen Ballon, auf den Johnny Cigars Gesicht gemalt war. Dann fiel das Auge wieder zu.
    »Geh weg, Johnny.«
    »Hallo ebenso, Lin«, antwortete er entnervend fröhlich. »Du musst aufstehen.«
    »Du bist ein böser Mensch, Johnny. Ein grausamer, böser Mensch. Geh weg.«
    »Ein Bursche hat eine Verletzung, Lin. Wir brauchen deine Medizinkiste und auch deine werte medizinische Persönlichkeit.«
    »Es ist stockfinster, Mann«, stöhnte ich. »Es ist zwei Uhr morgens. Sag ihm, er soll kommen, wenn es hell ist und ich mich wieder wie ein Mensch fühle.«
    »Oh, gewiss, ich werde ihm so alles sagen und er wird gehen, aber ich finde, du sollst wissen, dass er sehr rasch blutet. Aber wenn du mehr Schlaf brauchst, werde ich ihn von deiner Tür wegprügeln, jetzt sofort, mit drei, vier guten Schlägen von meinem Schuh.«
    Ich tauchte gerade wieder in den tiefen Teich des Schlafs, doch das Wort blutet hielt mich zurück. Ich setzte mich auf und zuckte zusammen, weil meine Hüfte sich steif und taub anfühlte. Mein Bett bestand, wie die meisten Schlafstätten im Slum, aus einer doppelt gefalteten Decke auf der harten festgetretenen Erde. Kapokmatratzen konnte man im Slum kaufen, doch die waren unpraktisch, weil sie in den kleinen Hütten zu viel Platz wegnahmen und sich schnell Läuse, Flöhe und anderes Ungeziefer darin einnisteten und Ratten sie unwiderstehlich fanden. Ich schlief nun schon seit Monaten auf dem Boden und hatte mich einigermaßen daran gewöhnt, aber weil ich nicht allzu gut gepolstert war, wachte ich jeden Morgen mit Schmerzen auf.
    Johnny hielt mir eine Lampe vors Gesicht. Ich blinzelte, schob sie weg und sah einen anderen Mann, der in der Tür hockte, einen Arm ausgestreckt. Er hatte eine klaffende Wunde, einen Schnitt oder Riss, aus dem hörbar Blut in einen Eimer tropfte. Benommen starrte ich auf den gelben Plastikeimer. Der Mann hatte ihn selbst mitgebracht, damit er mir nicht den Boden vollblutete, und irgendwie verstörte mich das mehr als die Wunde selbst.
    »Tut mir leid wegen der Mühe, Mr. Lin«, sagte der junge Mann.
    »Das ist Amir«, knurrte Johnny und schlug dem Verletzten laut klatschend auf den Hinterkopf. »So ein dummer Bursche ist er, Lin. Jetzt tut es ihm leid wegen der Mühe. Ich sollte meinen Schuh nehmen und ihn prügeln, schwarz und auch noch blau.«
    »Mein Gott, das sieht ja übel aus. Das ist eine richtig schlimme Verletzung, Johnny.« Es war ein langer, tiefer Schnitt, der von der Schulter fast bis zum Ellenbogen reichte. Wie ein Mantelaufschlag begann sich ein großer dreieckiger Hautlappen an den Rändern aufzubiegen. »Er braucht einen Arzt. Das muss genäht werden. Du hättest ihn ins Krankenhaus bringen sollen.«
    »Krankenhaus, naya !«, jammerte Amir. »Nahin, baba!«
    Johnny gab ihm eine Ohrfeige.
    »Halt den Mund, du Dummkopf! Er will nicht

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